Junge Erwachsene zeigen „Daumen hoch!“, fotolia.com | Rawpixel.com © fotolia.com | Rawpixel.com

Wissen und Kommunikation

Patientenumfrage: Alles gut?

Psychologen oder Sozialberater werden selten aufgesucht

Wissenschaftlicher Name der Studie

Congenital heart disease patients' and parents' perception of disease-specific knowledge: Health and impairments in everyday life.

Jährlich kommen in Deutschland rund 7.000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. 90 Prozent von ihnen erreichen heute das Erwachsenenalter. Ab dem 18. Lebensjahr müssen sich Patientinnen und Patienten eigenverantwortlich um die notwendige medizinische Vorsorge und Beratung kümmern. Doch viele neigen gerade dann zu einer riskanten Fehleinschätzung des eigenen Gesundheitszustandes. Das zeigen die Ergebnisse dieser Studie des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler.

Das Leben mit einem angeborenen Herzfehler ist eine besondere Herausforderung. Es gibt keinen Vergleich zwischen vorher und nachher. Die Krankheit war immer schon da. Erst kümmern sich die Eltern um Gesundheit und Wohlergehen, mit dem 18. Lebensjahr übernimmt das der Patient selbst. Und gerade dieser Übergang ist heikel.

Wissen um die eigene Erkrankung

Bei angeborenen Herzfehlern entscheiden die regelmäßige Vorsorge und eine gute medizinische Beratung über Gesundheit und Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, ein Leben lang. Das Wissen um die eigene Erkrankung und die mit ihr verbundenen Beeinträchtigungen ist daher überlebenswichtig.

Nur wie nehmen die Betroffenen selbst ihr Wissen um die Krankheit wahr? Wie bewerten sie ihre gesundheitliche Situation? Wie stark erleben sie Beeinträchtigungen im Alltag? Und wie viele von ihnen suchen sich professionelle psychosoziale Unterstützung? Das wollten Forscher am Nationalen Register für angeborene Herzfehler genauer wissen und haben dazu 587 Registermitglieder im Alter zwischen zehn und 30 Jahren sowie 231 Eltern von nicht volljährigen Patientinnen und Patienten befragt.

Gute Bewertung trotz schwerer Herzfehler

Unabhängig vom Schweregrad ihres angeborenen Herzfehlers kennen sich die meisten Befragten nach eigenem Bekunden gut bis sehr gut mit der Erkrankung aus. Am besten informiert fühlen sich erwachsene Patientinnen und Patienten. Eltern schätzen ihren Kenntnisstand als deutlich besser ein als den ihrer Kinder. Die Kinder selbst stuften ihre Kenntnisse im Vergleich zu den eigenen Eltern als geringer ein. Am niedrigsten bewerteten Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren ihre Kenntnisse.

Trotz schwerer chronischer Erkrankung bewerten die meisten Patientinnen und Patienten ihre Gesundheit als gut bis sehr gut und fühlen sich im Alltag kaum beeinträchtigt, allen voran die jugendlichen Befragten. Dabei stuften Eltern den Gesundheitszustand ihrer Kinder im Durchschnitt höher und die Alltagsschwierigkeiten niedriger ein als die Kinder selbst.

Psychosoziale Unterstützung kaum beansprucht

Nur 6,5 Prozent der Patienten gaben an, psychosoziale Beratung in Anspruch genommen zu haben. Unter ihnen hatten vor allem Patientinnen und Patienten mit komplexen angeborenen Herzfehlern entsprechende Unterstützungangebote genutzt. Dabei zeigte sich, dass Patientinnen und Patienten, die sich hatten beraten lassen, eine geringfügig niedrigere Bewertung für ihren Gesundheitszustand abgaben als die restlichen 93,5 Prozent. Auch ihre Alltagssituation sah diese Gruppe kritischer.

Realistische Selbsteinschätzung?

Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler überrascht. „Natürlich freut uns, dass viele ihren Gesundheitsstatus so positiv bewerteten. Schätzen die Patienten ihren Gesundheitszustand jedoch falsch ein und vernachlässigen daher die notwendige Gesundheitsvorsorge, riskieren sie lebensbedrohliche Folgeerkrankungen“, gibt Paul Helm, einer der Autoren der Studie, zu bedenken. 

Gezielte Stärkung im Umgang mit der Erkrankung

Dass gerade jugendliche Patienten ihren Gesundheitszustand als sehr gut bewerten, führt der Psychologe auch darauf zurück, dass Menschen in diesem Alter besonders darunter leiden, vermeintlich nicht mit den Altersgenossen mithalten zu können. „Viele Patienten haben Angst, deshalb ausgegrenzt zu werden. Dass sie chronisch krank sind, spielen sie dann lieber herunter“, so Helm. Für umso wichtiger halten die Wissenschaftler die gezielte Stärkung der Patienten und ihrer Angehörigen in einem achtsamen Umgang mit der chronischen Erkrankung. Eine professionelle psychosoziale Beratung könne dazu beitragen. Diese werde möglicherweise auch aus Angst vor Stigmatisierung so selten in Anspruch genommen. 

Fachübergreifende Versorgung verbessern

Behandelnde Ärzte sollten Eltern und Patienten daher im Rahmen der routinemäßigen Nachsorge über den Nutzen entsprechender Beratungsangebote informieren und ihnen den Zugang dazu erleichtern. „Zentrales Ziel ist es, in den Köpfen fest zu verankern, dass es alles andere als verrückt oder uncool ist, sich professionelle Hilfe zu holen“, wünscht sich Dr. Ulrike Bauer, Ärztin und Geschäftsführerin des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler. Eine umfassende fachübergreifende Versorgung, die eine begleitende psychosoziale Beratung einschließt, kann nach Ansicht der Studienautoren insbesondere während der Übergangsphase vom Kindes- ins Erwachsenenalter von enormer Bedeutung sein, um Folgeschäden und damit verbundene Langzeitkomplikationen zu vermeiden.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Das Forschungsergebnis beruht auf einer Online-Befragung, an der sich 587 Registermitglieder im Alter zwischen zehn und 30 Jahren mit leichten und komplexen Herzfehlern sowie 231 betroffene Eltern beteiligt hatten.

    Im Rahmen der Online-Umfrage des Nationalen Registers bewerteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr subjektives Informationsniveau sowie den eigenen Gesundheitszustand bzw. den Gesundheitszustand ihres Kindes auf einer Skala von 1 für „nicht gut“ bis 10 für „sehr gut“. Den Grad der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen im Alltag schätzten sie auf einer Skala von 1 für „sehr stark“ bis 10 für „sehr gering“ ein. Zudem beantworteten sie die Frage, ob sie in der Vergangenheit psychosoziale Unterstützung erhalten hatten oder ob sie sich, falls dies nicht der Fall war, eine solche Beratung gewünscht hätten. Die Antworten wurden nach Altersgruppen, Geschlechterzugehörigkeit und Schweregrad des Herzfehlers ausgewertet.

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 5/2018

      Congenital heart disease patients' and parents' perception of disease-specific knowledge: Health and impairments in everyday life.

      Helm PC, Kempert S, Körten MA, Lesch W, Specht K, Bauer UMM

      Congenital heart disease 13, 3, 377-383, (2018). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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