Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen sind entscheidende Faktoren für den Verlauf einer Endokarditis., iStockphoto.com | ljubaphoto © iStockphoto.com | ljubaphoto

Medizin und Versorgung

Die Endokarditis-Falle

Begleiterkrankungen sind entscheidender Risikofaktor

Wissenschaftlicher Name der Studie

Frequency, Mortality, and Predictors of Adverse Outcomes for Endocarditis in Patients with Congenital Heart Disease: Results of a Nationwide Analysis including 2512 Endocarditis Cases

Anders als noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist ein angeborener Herzfehler heute kein Todesurteil mehr. Im Gegenteil. Dank vieler Fortschritte in der Herzmedizin erreichen die meisten der von dieser häufigsten Organfehlbildung Betroffenen das Erwachsenenalter.

Allein in Deutschland leben nach Schätzungen rund 300.000 Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Doch auch nach einer erfolgreich vorgenommenen Korrektur durch Operation oder Katheterintervention: Die Grunderkrankung bleibt. Und sie birgt Risiken. Sorge bereitet das vor allem mit Klappendefekten und ihrer Behandlung einhergehende hohe Risiko einer infektiösen Endokarditis. Die in der Mehrzahl der Fälle durch Bakterien ausgelöste Entzündung der Herzinnenhaut kann sich schnell lebensbedrohlich auswirken.

Gefährdet unabhängig vom AHF-Schwergrad

Ergebnisse einer neuen bundesweiten Studie am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler zeigen, dass insbesondere ältere männliche AHF-Patienten gefährdet sind, an einer Endokarditis zu versterben, und zwar unabhängig vom Schweregrad ihres angeborenen Herzfehlers. Doch auch bei jüngeren Patientinnen und Patienten besteht bei einer Endokarditis, losgelöst von der Schwere ihres angeborenen Herzfehlers, ein erhebliches Risiko, einen Myokardinfarkt, einen Schlaganfall, eine Lungenembolie, eine Sepsis oder einen plötzlichen Herztod zu erleiden. "Dies sind Risiken, die sich durch eine durchgängige spezialisierte AHF-Versorgung erheblich verringern lassen", sagt Studienautorin Maarja Maser, Fachärztin für Kardiologie am EMAH-Zentrum des Universitätsklinikums Münster (UKM).

Geringere Sterblichkeit bei AHF

So ergab die vergleichende Analyse von Erkrankten ohne angeborenen Herzfehler und Erkrankten mit angeborenem Herzfehler, dass das Risiko, in Folge einer Endokarditis zu versterben, bei erwachsenen AHF-Patienten trotz ihrer Grunderkrankung deutlich niedriger lag.

Professor Gerhard Paul-Diller, EMAH-Spezialist und leitender Oberarzt am UKM, wundert das nicht: „Die stationär aufgenommenen AHF-Patientinnen sind zum einen durchschnittlich jünger als die Vergleichskohorte. Auch sind sie eher von rechtsseitigen Herzschädigungen betroffen, deren Auswirkungen zwar gravierend, aber verhältnismäßig weniger bedrohlich sind. Ihre Behandlung erfolgt zudem eher in spezialisierten Zentren.“ Ein weiterer Faktor, der dabei aus seiner Sicht ins Gewicht fallen könnte: „Das Bewusstsein für die Möglichkeit der Entwicklung einer infektiösen Endokarditis ist sowohl bei Menschen mit angeborenen Herzfehlern als auch bei den sie behandelnden Ärztinnen und Ärzten tendenziell stärker ausgeprägt.“ 

Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen sind entscheidende Risikotreiber

Zugleich zeigte die Analyse, dass die Schwere eines angeborenen Herzfehlers als Risikofaktor eine eher untergeordnete Rolle spielt.
„Im Zusammenhang mit einem tödlichen Verlauf stehen neben dem männlichen Geschlecht vor allem Begleiterkrankungen, die ab 40 insgesamt häufiger anzutreffen sind. Dazu zählen Diabetes, Herzinsuffizienz, Nierenerkrankungen, Erkrankungen der Lunge oder Krebserkrankungen. In der Prävention und Behandlung der Erkrankung sollten wir daher über die offensichtliche, zugrundeliegende AHF-Anatomie hinausschauen und uns bei diesen gefährdeten Patienten auf physiologische Faktoren wie zum Beispiel Alter und Geschlecht sowie auf Endorganerkrankungen konzentrieren“, so Professor Gerhard-Paul Diller.

Mit den Daten von mehr als 300.000 AHF-Patientinnen und -Patienten

Bei der Studie handelt es sich um ein Teilprojekt von OptAHF. Das durch den Innovationsfonds des gemeinsamen Bundesausschusses des G-BA geförderte Projekt unter Leitung von Professor Gerhard Paul Diller umfasst mit mehreren Studien die größte Versorgungsanalyse, die je zu angeborenen Herzfehlern durchgeführt wurde.

Mit Unterstützung der anonymisierten Daten der Barmer GEK und der pseudonymisierten Datenspenden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Nationalen Registers konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der Endokarditis-Studie über einen Zeitraum von zehn Jahren die Krankheitsverläufe von insgesamt 309.245 stationär behandelten AHF-Patientinnen und -Patienten nachbeobachten. 2.512 der AHF-Patienten waren mit einer infektiösen Endokarditis aufgenommen worden. 55 Prozent von ihnen hatten einen leichten, 23 Prozent einen mittelschweren und 22 Prozent einen schweren Herzfehler. 55 Prozent aller stationären Fälle waren männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter bei Krankenhauseinweisung betrug 14 Jahre.

Zahl der jungen Endokarditis-Patienten mit AHF deutlich größer

Auch wenn eine Endokarditis nur bei einem Bruchteil (0,8 Prozent) der stationär behandelten AHF-Patienten Grund für die Krankenhauseinweisung war, auf die leichte Schulter könne das keinesfalls genommen werden, erklärt Maarja Maser: „Unabhängig vom Schweregrad des angeborenen Herzfehlers erlitt fast die Hälfte, 46 Prozent, von ihnen schwerwiegende Beeinträchtigungen des Herz-Lungen-Kreislaufes. In 41,5 Prozent der Fälle war ein chirurgischer Eingriff erforderlich. Und sechs Prozent aller AHF-Patientinnen und- Patienten überlebten die Entzündung der Herzinnenhaut nicht.“

Dabei machten im Vergleich nach verschiedenen Altersgruppen Kinder mit angeborenen Herzfehlern mit 36 Prozent mehr als ein Drittel der aufgrund einer Endokarditis stationär aufgenommenen Gleichaltrigen aus. Unter den Erwachsenen lag der Anteil der AHF- Patienten dagegen bei nur 1,2 Prozent. Das bringen die Forscher damit in Zusammenhang, dass in der Bevölkerung mit zunehmendem Alter erworbene Klappenerkrankungen häufiger sind als AHF-bedingte Schädigungen der Herzklappen.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen sind entscheidende Faktoren für den Verlauf einer Endokarditis. © iStockphoto.com | ljubaphoto
    Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen sind entscheidende Faktoren für den Verlauf einer Endokarditis.

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 29.10.2021

      Frequency, Mortality, and Predictors of Adverse Outcomes for Endocarditis in Patients with Congenital Heart Disease: Results of a Nationwide Analysis including 2512 Endocarditis Cases.

      Maser M, Freisinger E, Bronstein L, Köppe J, Orwat S, Kaleschke G, Baumgartner H, Diller GP, Lammers A

      Journal of clinical medicine 10, 21, (2021). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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