Die Bereitschaft zur lebenslangen spezialisierten Vorsorge ist ein überlebenswichtiger Faktor bei AHF., Wolfram Scheible für Nationales Register © Wolfram Scheible für Nationales Register

Versorgungsforschung

Gut versorgt ein Leben lang

Was AHF Patientinnen und -Patienten brauchen

Wissenschaftlicher Name der Studie

Optimizing Care for Adults with Congenital Heart Disease: Results of a Conjoint Analysis Based on a Nationwide Sample of Patients Included in the German National Register

Wer einen angeborenen Herzfehler hat, ist auch nach erfolgter Korrektur darauf angewiesen, dass eine regelmäßige spezialisierte Vorsorge und medizinische Betreuung gewährleistet ist – und zwar ein Leben lang.

Versäumnisse in der Nach- und Vorsorge erhöhen nachweislich das Risiko ernster und lebensbedrohlicher Erkrankungen. Eine Studie am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler hat das belegt. Zugleich förderte sie erhebliche Lücken in der medizinischen Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) zu Tage.

Die Hälfte der Patientinnen und Patienten ist unzureichend betreut. „Für den Einzelnen wie für die Gesellschaft ist das mit erheblichen, auch kostenintensiven Konsequenzen verbunden“, warnt Professor Gerhard-Paul Diller, EMAH-Spezialist am Universitätsklinikum Münster (UKM).

Was fördert die Compliance?

Für eine gute medizinische Versorgung spielt die Bereitschaft Erwachsener mit angeborenen Herzfehlern, die eigene Herzgesundheit in regelmäßigen Abständen von spezialisierten Fachärztinnen und Fachärzten untersuchen zu lassen, eine wichtige Rolle. Im Fachjargon spricht man von Compliance.

Doch wie stellt sich die Versorgungssituation aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten dar? Was sind ihre Erfahrungen, ihre Erwartungen und Wünsche? Was genau fördert ihre Bereitschaft und was behindert sie? Das haben Wissenschaftler am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler jetzt auf Grundlage gezielter Befragungen von 637 erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Nationalen Registers untersucht, mit im Ergebnis klaren Empfehlungen für die künftige medizinische Versorgung.

AHF-Patient ist nicht gleich AHF-Patient

Dafür haben sich die Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern Münster und der Steinbeis-Hochschule Berlin modernster Methoden aus der Marktforschung bedient. „Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben sehr unterschiedliche Anforderungen, Bedürfnisse und Erwartungen, wenn es um ihre Gesundheit geht. Für manche ist es vor allem wichtig, möglichst kurze Wege und Wartezeiten zu haben. Andere legen sehr viel mehr Wert auf die Qualifikation der behandelnden Einrichtung oder des behandelnden Arztes. Und wieder anderen kommt es vor allem auf eine dauerhafte Begleitung durch den vertrauten Arzt oder auf besondere Angebote der Unterstützung bei sozialen Fragen oder psychologischen Problemen an“, sagt Ulrike Bauer, Geschäftsführerin des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler und des Nationalen Registers.

Der Patient ist König

Auf Grundlage eines Verfahrens der modernen Konsum- und Marktforschung, der sogenannten Conjoint-Analyse, konnten die Wissenschaftler diese wichtigen Aspekte genauer bestimmen und so einordnen, dass sich daraus konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung ableiten lassen. In der medizinischen Forschung ist ein solcher Studienansatz noch einzigartig, weiß Astrid Lammers, Ärztin am Universitätsklinikum Münster (UKM): „In der Regel dominiert die medizinische Fachsicht auf den Patienten. Diese Perspektive haben wir bewusst umgekehrt und ein wissenschaftliches Vorgehen gewählt, das Patienten als ‚König Kunde‘ und Experten für ihre eigene Gesundheit begreift“, so die Studienerstautorin.

  • Gut zu wissen

    Wer hat mitgemacht? Wonach wurde genau gefragt?

    Vier Patientengruppen mit unterschiedlichen Erwartungsmustern haben sich herauskristallisiert. © Nationales Register
    Vier Patientengruppen mit unterschiedlichen Erwartungsmustern haben sich herauskristallisiert.

    Die Registerteilnehmer, die die Umfrage beantworteten, waren im Durchschnitt 34 Jahre alt. Mit 55,6 Prozent nahmen dabei mehr Frauen als Männer an der Umfrage teil. Nach Warnes klassifiziert  hatten insgesamt 12,6 Prozent der Studienteilnehmer einen einfachen Herzfehler, 40,3 Prozent einen mittelschweren Herzfehler und 40,2 Prozent einen komplexen angeborenen Herzfehler.

    Befragt wurden die Studienteilnehmer nach Aspekten der Qualifikation der Ärzte, der Kontinuität der medizinischen Versorgung, der Unterstützung und dem Verhalten der Ärzte, der allgemeinen ganzheitlichen gesundheitlichen Versorgung, den Erklärungen des Arztes, der Fahrtzeit zum Arzttermin, der Erreichbarkeit mit dem Auto, der Verfügbarkeit von Diensten und Öffnungszeiten, der Wartezeit auf einen Termin, der Erreichbarkeit bei Problemen und Fragen, der Wartezeit auf einen Arzttermin in der Klinik, der Qualität der verfügbaren medizinischen Ausrüstung und nach dem Komfort der Versorgung wie zum Beispiel der Zimmerausstattung, der Verpflegung und den Unterhaltungsangeboten.

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Vier Kerngruppen mit unterschiedlichen Erwartungsmustern konnten die Wissenschaftler mit Hilfe der Conjoint-Analyse, einer Methode  aus der modernen Markt- und Konsumforschung, ermitteln:

  • 1. Zeitsensitive Patienten

    Zeitsensitive Patienten © Nationales Register
    Zeitsensitive Patienten

    Jüngere Patienten, eher Frauen, eher mit einfachen angeborenen Herzfehlern, eher in Behandlung bei niedergelassenen Ärzten.

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  • 2. Kontinuität suchende Patienten

    Kontinuität suchende Patienten © Nationales Register
    Kontinuität suchende Patienten

    Ältere Patienten, tendenziell eher Männer, eher mit komplexen angeborenen Herzfehlern, höheres Maß an psychologischen Begleiterkrankungen, eher in Behandlung bei niedergelassenen Ärzten.

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  • 3. Exzellenz suchende Patienten

    Exzellenz suchende Patienten © Nationales Register
    Exzellenz suchende Patienten

    Patienten mittleren Alters, eher männlich, eher vollzeitbeschäftigt, geringes Maß an psychischen Problemen, eher in Behandlung in einem EMAH-Zentrum.

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  • 4. Unterstützung suchende Patienten

    Unterstützung suchende Patienten © Nationales Register
    Unterstützung suchende Patienten

    Ältere Patienten, tendenziell eher Frauen, niedrigerer Bildungsstatus, geringeres Maß an psychologischen Begleiterkrankungen, eher komplexe angeborene Herzfehler.

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Arzt-Patient, Patient-Arzt

Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist alles nichts. Das gilt der Studie zufolge auch für die lebenslange Nachsorge bei einem angeborenen Herzfehler. Ein vertrauensvoller Austausch mit dem behandelnden Arzt, der klar und verständlich aufklärt, rangiert für die meisten der befragten Patientinnen und Patienten an oberster Stelle, dicht gefolgt von der ärztlichen Qualifikation, der Wartezeit, der medizinischen Versorgung und der medizinischen Ausstattung.

Wie wichtig auch aus Patientensicht die spezialisierte Betreuung ist, und welche Anforderungen sie an eine solche stellen, verdeutlicht dabei ein Teilergebnis der Studie: „Eine ausschließlich vom Hausarzt geleitete Behandlung, eine schlechte Arzt-Patienten-Kommunikation, sprich: der Arzt nimmt sich zwar Zeit, erklärt aber nicht klar und verständlich, sowie Wartezeiten beim Arzt von bis zu vier Stunden zählten durchgängig zu den K.O.-Kriterien“, so Astrid Lammers. Für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung dagegen nähmen viele eine längere Fahrzeit und längere Wartezeiten in Kauf. Auch der Komfort sowie reine Pflegeaspekte spielen für die Patienten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.

Was wünschen sich die einzelnen Patientinnen und Patienten?

Dabei gab es durchaus unterschiedliche subjektive Gewichtungen, wie Co-Autor und Diplompsychologe Paul Helm am Beispiel hervorhebt: „Frauen legten tendenziell mehr Wert auf eine ganzheitliche Betreuung und verständliche Erklärungen, während Männer eher an der Qualifikation des Arztes und an günstigeren Öffnungszeiten interessiert waren. Jüngere Patienten setzten ihre Schwerpunkte eher bei kurzen Wegen und Wartezeiten sowie bei Aspekten des Komforts.“

Unterschiedliche Anforderungen ergaben sich auch aus Bildungsstand und beruflicher Situation sowie dem Schweregrad des angeborenen Herzfehlers. Kaum überraschend fielen aus Sicht der Forscher die Ergebnisse im Vergleich der Diagnosen der Studienteilnehmer aus. Für Patienten mit komplexen Herzfehlern spielt die hohe Qualifikation des Arztes eine wichtige Rolle, auch fallen für sie ein ganzheitliches Betreuungsmodell, eine zentrumsorientierte Behandlung und die Qualität der verfügbaren medizinischen Ausstattung stärker ins Gewicht.

Wertvolle Hinweise zur Verbesserung der medizinischen Versorgung

Die Conjoint-Analyse half, die unterschiedlichen Bedürfnisse auf den wichtigsten gemeinsamen Nenner zu bringen: „Eine umfassende, ganzheitliche Betreuung, die über die kardialen Probleme hinausgeht, ausreichend Zeit für die Beratung sowie klare und verständliche, umfassende Erklärungen, sind die von den Patientinnen und Patienten benannten erfolgskritischen Faktoren für eine gute medizinische Versorgung“, fasst Astrid Lammers das Hauptergebnis zusammen.

Die Anerkennung der unterschiedlichen Erwartungsmuster, die sich in den ermittelten vier Kerngruppen – Zeitsensitive, Exzellenz suchende, Kontinuität suchende und Unterstützung suchende Patientinnen und Patienten – verdichten, sollte daher aus Sicht der Studienautoren auch im Interesse der Gesellschaft ein tragendes Element der Leistungsplanung und Gestaltung des Behandlungsangebots sein: „Eine erhöhte Patientenzufriedenheit senkt die Rate der nicht erfolgten Nachsorgeuntersuchungen. Kostenlasten im Gesundheitswesen ließen sich auf diese Weise nachhaltig reduzieren“, begründet Astrid Lammers die Empfehlung.

Dafür sei es wichtig, auch den Unterstützungsbedarf der Patientinnen und Patienten in sozialen Fragen und bei kognitiven und psychischen Herausforderungen zu berücksichtigen, ergänzt Paul Helm: „Die Situation von Menschen mit angeborenen Herzfehlern stößt in unserer Gesellschaft noch immer auf viel Unwissenheit und mangelndes Verständnis. Die Grunderkrankung bringt in vielen Fällen erhebliche soziale Benachteiligungen und enorme psychische Belastungen mit sich.“ Patientinnen und Patienten wünschten sich auch hier deutlich mehr ärztlichen Beistand.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 6.8.2021

      Optimizing Care for Adults with Congenital Heart Disease: Results of a Conjoint Analysis Based on a Nationwide Sample of Patients Included in the German National Register.

      Lammers AE, Helm PC, Bauer UM, van Huelsen AK, Schneider H, Baumgartner H, Diller GP

      Journal of clinical medicine 10, 16, (2021). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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