Herzkinder brauchen mehr Bewegung., iStockphoto.com | FatCamera © iStockphoto.com | FatCamera

Belastbarkeit und Sport

Herzkinder sitzen zu viel

WHO-Empfehlungen werden kaum befolgt

Wissenschaftlicher Name der Studie

Physical Activity among Children with Congenital Heart Defects in Germany: a nationwide survey

Sport, Spaß und Spiel. Auch für Kinder und Jugendliche mit angeborenen Herzfehlern ist der tägliche körperliche Ausgleich wichtig. Nachweislich sorgt er für mehr Wohlbefinden, stärkt Nerven, Muskeln und Abwehrkräfte und fördert die Konzentration. Mehr noch: Regelmäßige körperliche Bewegung wirkt bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern auch dem erhöhten Risiko lebensbedrohlicher Folgeerkrankungen entgegen. „Gefäßverengungen, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck sowie Diabetes werden gerade Patienten mit angeborenen Herzfehlern gefährlich. Vorbeugen muss man schon in der frühen Kindheit“, sagt der Kinderkardiologe Christian Apitz.

Weltweit größte Studie zur körperlichen Aktivität

Eine Stunde täglich. So lautet das von der WHO empfohlene Minimum an körperlicher Bewegung, das auch für die körperliche, emotionale und psychosoziale Entwicklung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern unverzichtbar ist. Doch halten sich die Patientinnen und Patienten daran und werden sie ihrer jeweiligen Diagnose entsprechend beraten? Um das herauszufinden, haben Christian Apitz und sein Team gemeinsam mit der Sportwissenschaftlerin Claudia Niessner vom Karlsruher Institut für Technologie und dem Kinderkardiologen Jannos Siaplaouras die weltweit bislang umfassendste Studie zur körperlichen Betätigung von Herzkindern durchgeführt.

Die Wissenschaftler werteten die vollständigen Datensätze von 1.198 Herzkindern im Alter zwischen 6 und 17 Jahren (mittleres Alter 11,6 ± 3,1 Jahre) mit nach Warnes leichten, moderaten und komplexen angeborenen Herzfehlern aus und verglichen sie mit den Daten von 3.385 gleichaltrigen Teilnehmern aus der KiGGS Motorik-Modul Studie. Bundesweit haben rund 1.700 Registerteilnehmerinnen und Registerteilnehmer sowie ihre Eltern bzw. Sorgeberechtigten an der Studie teilgenommen und Fragen zur körperlichen Aktivität, zur medizinischen Versorgung sowie zu den Sportempfehlungen der behandelnden Ärzte beantwortet.

Herzkinder bewegen sich zu wenig

Das Ergebnis: Nur neun Prozent der von angeborenen Herzfehlern betroffenen Kinder und Jugendlichen halten sich täglich eine Stunde körperlich fit. Bei den Herzkindern mit schweren angeborenen Herzfehlern waren es gerade noch acht Prozent. „Das sind drei bis vier Prozent weniger als in der gleichaltrigen herzgesunden Vergleichsgruppe der KiGGS Motorik-Modul Studie. Und schon die Ergebnisse dieser Studie sind alarmierend“, stellt die Sportwissenschaftlerin Claudia Niessner fest.

Auch im Hinblick auf die Wahrnehmung der Angebote von Sportvereinen stießen die Forscher auf große Unterschiede. Der Anteil von Kindern mit komplexen angeborenen Herzfehlern, die sich regelmäßig im Sportverein bewegen, fällt insgesamt knapp 15 Prozent niedriger aus als bei den Teilnehmern der KiGGS Motorik-Modul Studie. Körperlich aktive Patienten mit einfachen und moderaten angeborenen Herzfehlern dagegen schließen in Sachen Sportverein mit der KiGGS-Vergleichsgruppe auf.

Immerhin: Fast die Hälfte der in Sportvereinen aktiven Kinder mit schweren angeborenen Herzfehlern treibt nach eigenen Angaben Leistungssport, bei einfachen und moderaten Herzfehlern sind es sogar weit über die Hälfte. Damit liegen Herzkinder im Leistungssport ungefähr gleichauf mit den KiGGS-Teilnehmern.

Bewegung stärkt und macht Spaß

Dass körperliche Bewegung auch Herzkindern mit schweren angeborenen Herzfehlern Spaß macht und ihnen rundum guttut, zeigten die Umfrageergebnisse ebenfalls deutlich. Unabhängig von der Schwere des angeborenen Herzfehlers stieg die Freude am Sport mit der körperlichen Aktivität der Befragten.

Sportlich Aktivere schätzten zudem ihre Leistungsfähigkeit deutlich positiver ein. Kraft, Schnelligkeit, Fertigkeiten, Koordination, Flexibilität und vor allem Ausdauer wurden in dieser Gruppe deutlich intensiver wahrgenommen als bei Patienten mit eingeschränkter körperlicher Aktivität.

„Diese Kinder zeigen sich überaus sportbegeistert und motiviert. Und sie verfügen auch über eine positivere Selbstwahrnehmung, ein ganz entscheidender Faktor für die Gesunderhaltung und Lebensqualität. Wir zählen in Deutschland derzeit elf aktive Kinderherzsportgruppen. Diesem unbefriedigenden Angebot stehen rund 6.000 aktive Herzsportgruppen für Erwachsene gegenüber. Das kann so nicht bleiben. Hier benötigen wir dringend zusätzlich neue Konzepte einer individuellen Beratung und Betreuung“, mahnt Christian Apitz. Denn im Umkehrschluss zeige sich, dass die Freude an Bewegung mit mangelnder körperlicher Aktivität abnimmt. „Das sehen wir als besonders kritisch an. Hier entwickelt sich rasch eine Abwärtsspirale, die in die Inaktivität führt.“

Ärzte beraten übervorsichtig

Die Forscher empfehlen daher unisono, die Bewegungsangebote insbesondere auch für Kinder und Jugendliche mit schweren angeborenen Herzfehlern deutlich auszubauen. Ärzte sollten sich zudem auch untereinander dringend regelmäßig über die sportliche Aktivität der Patienten beraten und diese individuell über die dringend gebotene Wahrnehmung entsprechender Angebote aufklären.

Überrascht hat das Forscherteam um den Kinderkardiologen Christian Apitz vom Universitätsklinikum Ulm, wie viele Studienteilnehmer angaben, die körperliche Aktivität auf ärztlichen Rat hin eingeschränkt zu haben. Bei Kindern und Jugendlichen mit komplexen angeborenen Herzfehlern war das bei der Hälfte der Fall, bei Patienten mit moderaten angeborenen Herzfehlen gab das jeder Dritte an. Bei Patienten mit einfachen angeborenen Herzfehlern machte noch immer jeder Achte diese Angabe.

Die Wissenschaftler sehen hier dringenden Handlungsbedarf: „Dass vor allem Eltern und Sorgeberechtigte dazu neigen, die jungen Herzpatienten in Watte zu packen, war uns aus anderen Studien bekannt. Dass sich ein ähnliches Verhalten auch bei den behandelnden Ärzten abzeichnet, erfüllt uns mit Sorge. Hier liegt eine Beratungslücke vor, die dringend geschlossen werden muss“, sagt Christian Apitz.

Über die Gründe können die Wissenschaftler nur spekulieren. „Es ist kaum vorstellbar, dass die Kolleginnen und Kollegen die WHO-Empfehlungen ignorieren. Denkbar ist eher eine Übervorsicht, die auch der gestiegenen Arbeitsbelastung geschuldet ist. Ärzte müssen sich Zeit für den einzelnen Patienten nehmen dürfen. Der Klinikalltag heute gestattet das kaum noch. Hier konkurrieren Personalmangel und ökonomische Zwänge mit der Gesundheit und Lebensqualität des einzelnen Patienten“, merkt sein Teamkollege, der Kinderkardiologe Jannos Siaplaouras, an.

Diese Studie wurde gefördert durch die Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren e. V. © Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren e. V.
Diese Studie wurde gefördert durch die Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren e. V.

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