Der Kopfumfang eines Babys gibt Auskunft über das mögliche Vorliegen einer Mikrozephalie., iStockphoto.com | thodonal © iStockphoto.com | thodonal

Medizin und Versorgung

Mikrozephalie – ein Risiko?

Viele Herzkinder brauchen gezielte Förderung

Wissenschaftlicher Name der Studie

Microcephaly is associated with impaired educational development in children with congenital heart disease

Herzkinder halten in der Regel gut mit in der Schule. Viele erreichen sogar das Abitur. „Das hängt nicht zuletzt mit einer gezielten Förderung zusammen, die hier einiges ausgleichen kann, etwa auch, wenn Operationen und Reha-Aufenthalte es den Kindern erschweren, kontinuierlich am Schulunterricht teilzunehmen“, sagt Constanze Pfitzer, BIH geförderte Ärztin am Deutschen Herzzentrum der Charité. Bei Kindern mit beeinträchtigtem Körperwachstum und einem zu geringen Kopfumfang, auch Mikrozephalie genannt, sind die Herausforderungen jedoch noch andere. Das zeigen die Ergebnisse einer ersten Studie unter ihrer Leitung, die die schulische Entwicklung der betroffenen Kinder untersucht hat.

Schwere angeborene Herzfehler begünstigen Mikrozephalie

Für die wissenschaftliche Analyse des Zusammenhangs von Mikrozephalie und Schullaufbahn konnte das Forscherteam um Constanze Pfitzer auf die Kohorte der PAN-KU-Studie am Kompetenznetz angeborene Herzfehler aus dem Nationalen Register für angeborene Herzfehler zurückgreifen, die an die große PAN-Studie anschloss. „Die meisten Studien zur Untersuchung der körperlichen Entwicklung von Kindern konzentrieren sich auf das Körpergewicht und die Körperlänge. Die PAN-KU-Studie am Kompetenznetz angeborene Herzfehler ist eine der ersten umfassenden Studien, die auch den für die Einschätzung der neurologischen Entwicklung wichtigen Kopfumfang berücksichtigt hat“, erläutert Constanze Pfitzer. Ihre neue Studie zeigt, dass eine Mikrozephalie, die vor allem im Zusammenhang mit schweren angeborenen Herzfehlern steht, großen Einfluss auf die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben kann.

  • Gut zu wissen

    Schweregrad des angeborenen Herzfehlers ist ein Faktor

    Eine Mikrozephalie ist auffällig mit dem Schweregrad des angeborenen Herzfehlers verbunden. Bei weit mehr als einem Drittel (35,6 Prozent) der mikrozephalen Patienten lag ein schwerer angeborener Herzfehler vor. Zum Vergleich: Unter Kindern, die keine Mikrozephalie haben, lag die Rate der komplexen angeborenen Herzfehler mit insgesamt 16,6 Prozent deutlich niedriger.

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Psychische Erkrankungen mehr als doppelt so häufig

Jedes achte Kind mit angeborenem Herzfehler aus der umfassenden PAN-KU-Kohorte ist von einer Mikrozephalie betroffen. Dass die Kopffehlbildung mit Entwicklungsverzögerungen und kognitiven Beeinträchtigungen einher gehen kann, bestätigt auch die Untersuchung des Forscherteams um Constanze Pfitzer. „Auffällig war, dass die Betroffenen im Vergleich zu Kindern mit angeborenen Herzfehlern ohne Mikrozephalie mehr als doppelt so häufig wegen einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Depression, Angststörung, Lernstörung oder Sprachstörung in Behandlung waren,“ sagt die angehende Kinderkardiologin. 67 Prozent der Mikrozephalie-Patienten litten an solchen Begleiterkrankungen, bei Kindern ohne die Kopffehlbildung waren es dagegen 29,8 Prozent.

Deutliche Unterschiede in Förderung und Schullaufbahn

Im Rahmen einer an die Studie gekoppelten Umfrage zeigte sich, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder mit einer Kopffehlbildung (85,7 Prozent) bereits früh gezielt in ihrer Entwicklung gefördert wurde, während das bei den Kindern ohne Mikrozephalie mit 47,6 Prozent nicht ganz bei der Hälfte der Fall war. Beide Gruppen wurden dabei im Alter von etwa sechs Jahren eingeschult. Mit 89,9 Prozent starteten die meisten Kinder ohne Mikrozephalie in einer regulären Grundschule. Bei den Kindern mit dieser Auffälligkeit dagegen waren es mit 51,6 Prozent nur etwas mehr als die Hälfte.

14,3 Prozent besuchen ein Gymnasium

Auch bei den weiterführenden Schulen zeigte sich ein großer Unterschied. Fast jedes zweite Kind mit angeborenem Herzfehler ohne Kopffehlbildung wechselte an ein Gymnasium (48,3 Prozent). Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchten, lag in dieser Gruppe bei 3,3 Prozent. Von den mikrozephalen Patienten dagegen besuchte jeder siebte ein Gymnasium (14,3 Prozent), während achtmal so viele (26,4 Prozent) in eine Schule mit sonderpädagogischem Schwerpunkt gingen. Über die Hälfte der Kinder und Jugendlichen (52,7 Prozent) nahmen unterstützende Maßnahmen, etwa bei besonderen Lernschwierigkeiten, in Anspruch. In der Gruppe der Patienten ohne Mikrozephalie war das nur etwas mehr als ein Fünftel (21,6 Prozent).

Kaum Unterschiede bei Schulnoten

Hinsichtlich ihrer schulischen Leistungen schneiden Kinder mit und ohne Mikrozephalie etwa gleich gut ab. Auch bei der Zahl der Klassenwiederholungen unterschieden sich Kinder mit einer Mikrozephalie nicht wesentlich von ihren Altersgenossen ohne diese Fehlbildung. Die Zeit der Abwesenheit vom Schulunterricht betrug bei den meisten Kindern mit Mikrozephalie (82 Prozent) nicht mehr als einen Monat. Dabei hatte der Bildungsgrad der Eltern in dieser Stichprobe keinen erkennbaren Einfluss auf die besuchten Schulformen der Primar- und Sekundarstufe, die Häufigkeit der Wiederholung einer Klasse oder die Inanspruchnahme von Fördermaßnahmen.

Intensive Weiterforschung nötig

„Bei einer Mikrozephalie zeigt sich insgesamt ein erhöhtes Risiko der Beeinträchtigung der schulischen Entwicklung. Zugleich haben wir hinsichtlich der schulischen Leistungen durchaus ermutigende Ergebnisse“,  ordnet Constanze Pfitzer ein. „Welche körperlichen Mechanismen hinter den klinisch festgestellten Entwicklungsverzögerungen stecken, wird noch untersucht. Es wird angenommen, dass vorgeburtliche Beeinträchtigungen des Blutkreislaufs und eine genetische Verbindung zwischen Herz- und Gehirnentwicklung wichtige Gründe sind. Zugleich muss intensiver auch zu weiteren Ursachen geforscht werden.“

Routineuntersuchung erweitern, individuelle Fähigkeiten fördern

Die Wissenschaftler empfehlen, die Messung des Kopfumfangs bei Säuglingen und Kindern mit angeborenen Herzfehlern in die Routineuntersuchung aufzunehmen, um im Fall einer Mikrozephalie gezielter eingreifen und fördern zu können. „Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen wird es in unserer leistungsorientierten Gesellschaft oft schwer gemacht, sich mit ihren individuellen Fähigkeiten möglichst selbstbestimmt und in ihrem Tempo zu entfalten“, beobachtet Ulrike Bauer, Geschäftsführerin des Nationalen Registers und des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler. Umso wichtiger sei es, die Diagnose frühzeitig zu stellen. „Eltern sollten so früh wie möglich gezielt dazu in die Lage versetzt und ermutigt werden, auf die besonderen Fähigkeiten ihrer Kinder zu achten und einzugehen. Insbesondere bei der Schulwahl sowie bei der Wahl von Förderangeboten sollte in erster Linie auf die individuellen Begabungen und Fragen der Kinder Rücksicht genommen werden“, rät Ulrike Bauer.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Der Kopfumfang eines Babys gibt Auskunft über das mögliche Vorliegen einer Mikrozephalie. © iStockphoto.com | thodonal
    Der Kopfumfang eines Babys gibt Auskunft über das mögliche Vorliegen einer Mikrozephalie.

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 6.10.2022

      Microcephaly is associated with impaired educational development in children with congenital heart disease.

      Pfitzer C, Sievers LK, Hütter A, Khaliq HA, Poryo M, Berger F, Bauer UMM, Helm PC, Schmitt KRL

      Frontiers in cardiovascular medicine 9, 917507, (2022). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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