Ärztin untersucht Schilddrüse per Ultraschall., iStockphoto.com | AlexRaths © iStockphoto.com | AlexRaths

Medizin und Versorgung

Schilddrüsenerkrankung: Das Amiodaron-Risiko

Junge Frauen mit angeborenen Herzfehlern sind besonders gefährdet

Wissenschaftlicher Name der Studie

Thyroid Dysfunction under Amiodarone in Patients with and without Congenital Heart Disease: Results of a Nationwide Analysis

Wenn das Herz außer Takt gerät, äußert sich das oft als unangenehmes Herzrasen oder Herzstolpern. Solche Herzrhythmusstörungen zählen bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAHs) zu den häufigsten Komplikationen. Sie können ihnen besonders gefährlich werden und gehören daher in die Hände erfahrener Spezialistinnen und Spezialisten. Gegensteuern lässt sich entweder durch einen Katheterablation oder medikamentös. Bei Letzterem jedoch ist Vorsicht geboten, wie eine jüngste Studie am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler zeigt.

Zufällig entdeckt: Wirkstoff gegen Herzrhythmusstörungen

In Deutschland heißen sie beispielweise Amiogamma®, Amiohexal® oder Cordarex®. Das sind Arzneimittel gegen Herzrhythmusstörungen, die auf Basis des Wirkstoffs Amiodaron hergestellt sind. Der Arzneistoff wurde ursprünglich zur Behandlung von Angina Pectoris entwickelt, bis man zufällig dahinter kam, dass er eine hemmende Wirkung auf ventrikuläre und supraventrikuläre Herzrhythmusstörungen hat. Seither wird er gerne gegen Herzrhythmusstörungen verordnet, die ihren Ursprung im Herzmuskelgewebe oberhalb der Herzkammern haben. Vor allem bei Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern ist Amiodaron oft das Arzneimittel der Wahl, weil andere Antiarrhythmika nicht in Frage kommen oder schlicht nicht wirken. Doch das jodhaltige Medikament kann starke Nebenwirkungen verursachen. Dazu zählt die Beeinträchtigung der Funktion der Schilddrüse.

Fehlfunktion der Schilddrüse ist ein Risiko

Aus Studien ist bekannt, dass eine Fehlfunktion der Schilddrüse bei angeborenen Herzfehlern zu den Risikofaktoren zählt, die mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden sind. Doch wie oft tritt diese als Amiodaron-Nebenwirkung im Zusammenhang mit angeborenen Herzfehlern auf? Was sind die genauen Risikofaktoren? Und welche therapeutischen Konsequenzen sind aus einer durch Amiodaron entstandenen Fehlfunktion der Schilddrüse zu ziehen? Diesen Fragen ging eine der umfassendsten Studien auf den Grund, die es bisher zu dieser Nebenwirkung des Arzneistoffes gegeben hat.

Nationale Studie legt alternative Behandlung nahe

Auf Basis der anonymisierten Daten der Barmer GEK konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund 50.000 Patientinnen und Patienten ab 16 Jahren nachbeobachten, die zwischen 2005 und 2018 mindestens einmal mit Amiodaron behandelt worden waren, darunter 886 Patientinnen und Patienten mit angeborenem Herzfehler. 38 Prozent der Beobachteten ohne angeborene Herzfehler und 35 Prozent der Beobachteten mit angeborenen Herzfehler erkrankten im Zeitraum von zehn Jahren an einer Schilddrüsenfehlfunktion.

„Die Häufigkeit dieser Nebenwirkung ist grundsätzlich recht hoch, und zwar in beiden Gruppen. Sie steigt dabei mit Dauer und Häufigkeit der Einnahme des Wirkstoffes. Allerdings neigen vor allem jüngere Frauen mit schweren angeborenen Herzfehlern unter Amiodaron zur Entwicklung einer Schilddrüsenfehlfunktion. Das spricht dafür, bei dieser Patientengruppe ganz genau hinzuschauen und der medikamentösen Behandlung nach Möglichkeit gemäß Leitlinienempfehlung eine Katheterablation vorzuziehen“, fasst Erstautorin Alicia Jeanette Fischer, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie am EMAH-Zentrum des Universitätsklinikums Münster, die Erkenntnisse zusammen.

  • Gut zu wissen

    Was macht die Schilddrüse?

    Ärztin untersucht Schilddrüse per Ultraschall. © iStockphoto.com | AlexRaths
    Ärztin untersucht Schilddrüse per Ultraschall.

    Die Schilddrüse hat eine wichtige Steuerungsfunktion für den menschlichen Körper. Die in der Schilddrüse gebildeten Hormone wirken auf Herz und Kreislauf, erweitern die Blutgefäße, beschleunigen den Herzschlag und regeln den Blutdruck. Sie aktivieren auch den Fett- und Bindegewebsstoffwechsel, die Schweiß- und Talgdrüsen der Haut und die Nieren- und Darmtätigkeit.

    Außerdem spielen die Schilddrüsenhormone bei vielen Wachstumsprozessen eine wesentliche Rolle und sie regeln den Energieverbrauch des gesamten Organismus. Die Hormone sorgen dabei gleichsam für den Antrieb von Körper und Psyche. Bei einer Überfunktion (Hyperthyreose), sprich einem „zu viel“ an Hormonen, laufen Körper und Psyche „übertourig“, bei einer Unterfunktion (Hypothyreose), also einem „zu wenig“ an Hormonen, dagegen „untertourig“.

    Warum verursacht Amiodaron Fehlfunktionen der Schilddrüse?

    Bei Amiodaron handelt es sich um eine organisch-chemische Verbindung, deren Molekulargewicht zu über einem Drittel durch Iod – umgangssprachlich auch Jod genannt - bestimmt ist. Die Einnahme führt daher zu einer übermäßigen Aufnahme von Jod, das sich dauerhaft im Fettgewebe des Körpers anreichert und eine längere Halbwertszeit hat.

    Jod ist sehr wichtig für die Funktion der Schilddrüse. Zu viel davon jedoch schadet ihr und führt zur Bildung von Antikörpern, die eine entzündliche Reaktion in der Schilddrüse hervorrufen und ihre Funktion stören. Der den Schilddrüsenhormonen strukturell ähnliche Wirkstoff verhindert zudem die wichtige Umwandlung des Schilddrüsenhormons Thyroxin (T4) zu Trijodthyronin (T3), indem er die Bildung von dazu notwendigen Enzymen (Deiodinasen) in der Leber hemmt.

    Amiodaron kann daher auf vielfältige Weise Schäden im körpereigenen Abwehrsystem verursachen und die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigen. Da Frauen eine größere Veranlagung zu Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse haben, muss die Gabe von Amiodaron bei Frauen nicht zwingend Ursache einer Schilddrüsenfehlfunktion sein; sie kann eine bereits bestehende Schilddrüsenerkrankung auch entlarven.

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Weitere Risikofaktoren ermittelt

Neben dem Alter und dem Geschlecht konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitere Risikofaktoren ermitteln. Patientinnen und Patienten mit einem Herzschrittmacher erwiesen sich unter Amiodaron als anfälliger für eine Schilddrüsenfehlfunktion ebenso wie Patientinnen und Patienten nach der Implantation eines Kardioverter-Defibrillators. Chronische Nierenerkrankungen sowie Alkoholkonsum und Rauchen begünstigten ebenfalls die Entwicklung dieser Nebenwirkung.

Freudvolle Alternativen zu Alkohol- und Tabakkonsum

Generell sei es ein Gewinn an Lebensqualität, den Konsum von Alkohol und den Tabakgenuss, auch das Rauchen von E-Zigaretten, gegen freudvolle Aktivitäten wie zum Beispiel Laufen, Spazierengehen oder Wandern, Yoga, Tai Chi, Tanzen oder Meditation und eine ausgewogene vitamin- und ballaststoffreiche, fleisch-, zucker- und salzarme Ernährung sowie den Durstlöscher Wasser einzutauschen, so Alicia Jeanette Fischer, „insbesondere dann, wenn der Körper aufgrund einer angeborenen Herzfehlbildung bereits Erstaunliches leisten muss. Seit Jahrtausenden wissen wir ja eigentlich, dass wir unseren Körper und unsere Psyche durch Bewegung, ausreichend Schlaf und gute Kost stärken und unser allgemeines Wohlbefinden damit merklich steigern.“

Wie schwer es sein kann, das Feierabendbier, den Wein oder die Zigarette gänzlich wegzulassen, ist der Ärztin durchaus bewusst. „Die Entwöhnung klappt am besten, wenn wir sie nicht als Verzicht, sondern als Belohnung für unseren Körper bewerten. Wir atmen sehr viel besser, schlafen besser, können uns besser bewegen und besser konzentrieren.“

Zurückhaltende Verschreibung und kontinuierlich überwachte Einnahme

Sorge bereitet den Forschenden, dass die Katheterablation nur bei 42 Prozent der EMAHs und bei 34 Prozent aller nachbeobachteten Patientinnen und Patienten Anwendung fand. „Die verhältnismäßig häufige Gabe von Amiodaron hat uns verwundert, zumal die Katheterablation in den aktuellen Leitlinien als Behandlung der ersten Wahl bei vielen Arrhythmien empfohlen wird“, so Studienleiter Professor Gerhard-Paul Diller, EMAH-Spezialist am Universitätsklinikum Münster.

Zudem wurde die Gabe von Amiodaron trotz Schilddrüsenfehlfunktion bei fast der Hälfte der Patientinnen und Patienten ohne angeborenen Herzfehler (47 Prozent) und immerhin über einem Drittel (38 Prozent) der Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler fortgesetzt. 3,5 Prozent der EMAHs haben sich einer Schilddrüsen-Operation oder -Bestrahlung unterzogen. Bei den Patientinnen und Patienten waren es 2,3 Prozent.

„Wir raten dringend dazu, Amiodaron nur dann einzusetzen, wenn keine geeigneten Alternativen mit einem günstigeren Nebenwirkungsprofil zur Verfügung stehen. Patientinnen und Patienten, die Amiodaron benötigen, sollten vor der ersten Verschreibung auf eine eventuell bestehende Schilddrüsenerkrankung untersucht und kontinuierlich auf Schilddrüsenfunktionsstörungen überwacht werden“, betont Professor Gerhard-Paul Diller. Dies gelte umso mehr für Menschen mit spezifischen Risikofaktoren, etwa Patientinnen jüngeren Alters und Patienten mit komplexen angeborenen Herzfehlern, da sie möglicherweise anfälliger für die Entwicklung von Komplikationen sind.

Absetzen von Amiodaron versus Schilddrüsen-OP

Sowohl bei einer Unter- als auch bei einer Überfunktion der Schilddrüse kann die Beendigung der Amiodaroneinnahme zur Wiederherstellung ihrer Funktion führen. Da der Nutzen des Absetzens jedoch zeitverzögert eintritt, muss die voraussichtliche Wiederherstellung der Schilddrüsenfunktion sorgfältig gegen die Notwendigkeit einer Behandlung mit Amiodaron abgewogen werden, solange aufgrund eines angeborenen Herzfehlers alternative Möglichkeiten der Behandlung von Herzrhythmusstörungen nicht in Frage kommen.

Von daher hat die Studienautoren überrascht, dass eine Strahlentherapie oder Schilddrüsenoperation bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern seltener durchgeführt wird als bei allen anderen Patienten. Aus ihrer Sicht ist das bedenklich, da Operation und Bestrahlung in vielen Fällen die wirksamsten Behandlungen für eine Schilddrüsenüberfunktion sind.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 5.4.2022

      Thyroid Dysfunction under Amiodarone in Patients with and without Congenital Heart Disease: Results of a Nationwide Analysis.

      Fischer AJ, Enders D, Eckardt L, Köbe J, Wasmer K, Breithardt G, De Torres Alba F, Kaleschke G, Baumgartner H, Diller GP

      Journal of clinical medicine 11, 7, (2022). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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