Belastbarkeit und Sport
Starkes Duo für Kinder mit angeborenem Herzfehler
Bewegungsspaß und positive Körperwahrnehmung wirken zusammen
Wissenschaftlicher Name der Studie
Physical Self-Concept and Physical Activity in Children with Congenital Heart Defects—Can We Point Out Differences to Healthy Children to Promote Physical Activity?
Eigentlich wissen wir das alle: Körperliche Aktivität ist ein entscheidender Schlüssel zu Wohlbefinden und Gesundheit. Dass Sport noch dazu verbindet, Spaß macht, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und auch die Selbstwahrnehmung verbessert, haben im Juni 2023 bei den Weltsommerspielen der Special Olympics im Berliner Olympiastadion selbst die Jüngsten unter den Sportlerinnen und Sportlern mit geistiger oder mehrfacher körperlicher Beeinträchtigung eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Auch Kinder und Jugendliche mit angeborenen Herzfehlern genießen und bewältigen spielend sportliche Herausforderungen, wenn sie von klein auf darin gefördert werden. „Die meisten halten nachweislich gut mit ihren herzgesunden Altersgenossinnen und Altersgenossen mit. Wir raten heute nur in Ausnahmefällen von sportlicher Betätigung ab, nämlich dann, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt oder wenn ein medizinischer Eingriff bevorsteht“, sagt Professor Christian Apitz, leitender Kinderkardiologe am Universitätsklinikum in Ulm.
Beeinflusst das körperliche Selbstkonzept die Sportlichkeit?
Wie wichtig der gemeinsame Sport mit körperlich unbeeinträchtigten Gleichaltrigen für die Lebensqualität und Gesundheit auch von Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern ist, darauf deuten auch neue Ergebnisse des Forschungsprojekts S-BAHn (Sport Bei Angeborenen Herzfehlern) hin, das unter Leitung von Professor Christian Apitz in Kooperation mit dem Nationalen Register für angeborene Herzfehler auf Basis der KiGGS-Studie durchgeführt wurde.
Gemeinsam mit dem Fuldaer Kinderkardiologen Professor Jannos Siaplaouras, dem Psychologen Paul Helm vom Nationalen Register und der Sportwissenschaftlerin Claudia Niessner vom Karlsruher Institut für Technologie untersuchte das Forscherteam um Professor Christian Apitz erstmals breiter, welchen Einfluss das körperliche Selbstkonzept, die Selbstwahrnehmung der körperlichen Leistungsfähigkeit, auf die sportliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern hat.
Was kann mein Körper?
Dazu schätzten 1.198 am Nationalen Register Teilnehmende im Alter zwischen sechs und 17 Jahren ihre körperliche Leistungsfähigkeit in den Kategorien allgemeine sportliche Fähigkeiten, Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination ein. „Kinder und Jugendliche mit angeborenem Herzfehler, die ihre körperliche Leistungsfähigkeit eher hoch einschätzen, waren körperlich deutlich aktiver als Herzkinder, deren Selbsteinschätzung niedrigere oder mittlere Werte erreichte“, berichtet Paul Helm.
Bemerkenswert fanden die Forschenden, dass Kinder und Jugendliche mit leichten angeborenen Herzfehlern ihre körperliche Koordination und Beweglichkeit sogar optimistischer einschätzten als die herzgesunde KiGGS-Vergleichsgruppe. „Dass die Patientinnen und Patienten trotzdem seltener Sport treiben, macht deutlich, dass wir neue Wege finden müssen, Kinder und Jugendliche mit angeborenen Herzfehlern in einem körperlich aktiven Lebensstil zu unterstützen. Dazu braucht es entsprechende Angebote in Schule und Freizeit sowie ganzheitliche Behandlungspläne, die sportliche Betätigung beinhalten“, so der Psychologe.
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Gut zu wissen
Selbstkonzept und Aktivität nach Schweregrad des AHF
Bei AHF sind Sport und Bewegung in den seltensten Fällen riskant. Das Gegenteil ist der Fall. Körperliche Aktivität mit gleichaltrigen Herzgesunden stärkt und schützt vor gefährlichen Folgeerkrankungen. Kinder und Jugendliche mit leichtem angeborenem Herzfehler erreichten in allen Kategorien ein positives Selbstkonzept und unterschieden sich dabei kaum von ihren herzgesunden Altersgenossinnen und Altersgenossen. Dabei bewerteten sie ihre körperliche Beweglichkeit und Koordination sogar deutlich höher. Zugleich kommen mit 9,2 Prozent deutlich weniger von ihnen auf die von der WHO empfohlene tägliche Stunde Bewegung als in der Referenzgruppe (12 Prozent).
Von den Kindern und Jugendlichen mit mittelschwerem angeborenem Herzfehler sind ebenfalls nur 9,2 Prozent eine Stunde am Tag körperlich aktiv. Im Vergleich auch mit der herzgesunden Referenzgruppe erreichten sie bei der Selbsteinschätzung in allen Kategorien deutlich niedrigere mittlere Werte. Gleichauf bewegte sich ihre Selbsteinschätzung dagegen in den Kategorien Kraft und Beweglichkeit.
Kinder und Jugendliche mit schwerem angeborenem Herzfehler schätzten sich durchweg am schlechtesten ein. Am seltensten erreichten sie ein positives Selbstkonzept in der Kategorie Ausdauer. Im Sinne der WHO-Empfehlung körperlich aktiv sind in dieser Gruppe nur 8 Prozent.
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Gezieltes Empowerment
Umgekehrt zeigte sich, dass eine geringere Bewertung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit mit mangelnder körperlicher Aktivität einherging. Auffällig war dieser Zusammenhang bei Kindern und Jugendlichen mit schweren angeborenen Herzfehlern.
„Wir wissen aus anderen Studien, dass Kinder und Jugendliche mit schweren angeborenen Herzfehlern tendenziell eine realistischere Selbsteinschätzung haben als Kinder und Jugendliche mit leichten angeborenen Herzfehlern“, ordnet Paul Helm ein. Wichtig sei, die jungen Patientinnen und Patienten zugleich in einem positiven Körpergefühl zu bestärken. „Anstatt sie in Watte zu packen, sollten wir gezielt ihre gleichberechtigte Teilhabe an sportlichen Aktivitäten fördern.“
Ernüchternd unsportlich
Wie nötig das ist, zeigen die Zahlen von S-BAHn nur zu deutlich. Eine Stunde mäßiger bis intensiver Bewegungsspaß am Tag lautet das von der WHO für Kinder und Jugendliche empfohlene Minimum. Doch schon unter herzgesunden Kindern und Jugendlichen in Deutschland erreichen das laut KiGGS nur 12 Prozent. Gerade einmal 8,8 Prozent sind es in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern.
Von „täglich“ kann jedoch weder bei ihnen noch in der KiGGs-Vergleichskohorte die Rede sein. „Selbst die sportlicheren Herzpatientinnen und Herzpatienten kommen mit maximal dreieinhalb Tagen auf eine viel zu geringe wöchentliche Gesamtaktivität. Das ist im Vergleich zu den herzgesunden Kindern, die im Durchschnitt an vier Tagen aktiv sind, zwar nur geringfügig schlechter, unter dem Strich allerdings ein ebenso ernüchterndes Ergebnis“, sagt Studienautorin Claudia Niessner.
Überbehütung setzt Teufelskreis in Gang
Dabei spielt aus Sicht der Forschenden die Sorge vieler Eltern, Kollegen und Pädagogen, die Herzkinder zu überfordern, eine zentrale Rolle. Diese sei in den meisten Fällen unbegründet, verleite jedoch zu Überbehütung und löse so eine ganze Kaskade von Problemen aus.
„Zu wenig Sport und Bewegung führen zu einer Verringerung der motorischen Fähigkeiten. Dadurch wiederum verstärken sich die Ängste bei Kindern und Eltern. Ein Teufelskreis. Soziale Kontakte zu Gleichaltrigen brechen weg, das schränkt den Handlungsradius der Familie weiter ein. Und die Gesundheit der Kinder bleibt irgendwann auf der Strecke“, beobachtet der Kinderkardiologe und Sportmediziner Professor Jannos Siaplaouras.
Prävention muss früh beginnen
Dass mangelnde Bewegung riskant ist, zeigen auch aktuelle Entwicklungen, wie Professor Christian Apitz hervorhebt. „Generell nimmt die Häufigkeit von Bluthochdruck und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen zu. Kommt Bewegungsmangel hinzu, kann das gerade bei angeborenen Herzfehlern schnell gefährlich werden. Insbesondere bei schweren Herzfehlern steigt durch einen Bewegungsmangel das Risiko schwerer Folgeerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt.“ Darum sei die Prävention durch Sport und Bewegung schon im frühen Kindesalter wichtig.
Inklusive Sport- und Bewegungsangebote ausbauen
Nachdrücklich empfehlen die Forschenden den Auf- und Ausbau inklusiver Mitmach-, Bewegungs- und Sportangebote in Schulen, Vereinen und an weiteren sicheren Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche begegnen können. Der gemeinsame Sport mit herzgesunden Altersgenossinnen und Altersgenossen sei entscheidend, sowohl aus gesundheitlichen als auch aus psychischen und sozialen Gründen.
Das gelte vor allem auch für dynamische Sportarten, die sowohl den Teamgeist als auch die Ausdauer fördern. „Teamgeist hilft gegen Einsamkeit. Ausdauersportarten kommen Kindern und Jugendlichen auch bei schweren angeborenen Herzfehlern entgegen“, sagt Professor Christian Apitz.
Nicht bloß ein einmaliges gigantisches Sportfest, sondern mehr Inklusion, mehr Miteinander: Das wünschen sich auch die unlängst am Brandenburger Tor in Berlin gefeierten Stars der Special Olympics.
Zu Recht.
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Wissenschaftliche Details zur Studie
Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:
Publikationen
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28.2.2023
Physical Self-Concept and Physical Activity in Children with Congenital Heart Defects-Can We Point Out Differences to Healthy Children to Promote Physical Activity?
Siaplaouras J, Jahn A, Helm P, Hanssen K, Bauer U, Apitz C, Niessner C
Children (Basel, Switzerland) 10, 3, (2023). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.
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