Wissen und Kommunikation
Wenn der Seniorautor eine Frau ist
Geschlechter-Ungleichheit in der AHF-Forschung
Wissenschaftlicher Name der Studie
Sex differences in publication volume and quality in congenital heart disease: are women disadvantaged?
In führenden medizinischen Positionen und in der Wissenschaft sind Frauen weltweit nach wie vor unterrepräsentiert. Wie spiegelt sich das in der Forschung zu angeborenen Herzfehlern wider?
Wie hoch ist der Anteil der Frauen an den für die Medizinlaufbahn maßgeblichen Publikationen? Welche Einflussfaktoren sind dafür entscheidend?
Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler in einer breit angelegten Gender-Studie zum ersten Mal quantifiziert.
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Zahlen & Fakten
Der lange Weg zur Vielfalt
Medizinerinnen in Deutschland
Folgt man den Zahlen des Statistischen Bundesamtes im jüngsten Bericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) entscheiden sich seit Jahrzehnten deutlich mehr Frauen als Männer für ein Studium der Humanmedizin. Lag ihr Anteil 1997 bereits bei fast 53 Prozent, stellten Frauen 2016 rund 70 Prozent der Studienanfänger in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften. Auch die Zahl der berufstätigen Ärztinnen steigt kontinuierlich an. Stellten sie 1991 nur ein knappes Drittel der Ärzteschaft, betrug ihr Anteil Ende 2017 rund 47 Prozent wie die Bundesärztekammer vorrechnet.
Doch wie auch an dem durch die Studie ermittelten Gefälle zwischen Erstautorinnen und Seniorautorinnen im Bereich der AHF-Forschung in Deutschland abzulesen ist, kehrt sich das Geschlechterverhältnis in der Humanmedizin und den Gesundheitswissenschaften nach der Promotion um. Liegen Frauen bei der Promotion noch mit 59 Prozent vorne, beträgt ihr Anteil bei den Habilitationen nur noch 27 Prozent. Von sämtlichen Professorenstellen in der Humanmedizin und den Gesundheitswissenschaften sind gerade einmal 21 Prozent von Frauen besetzt; bei den höher dotierten W3- und C4-Professuren sind es nur noch 14 Prozent.
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Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/07/PD18_242_213.html
Alarmierendes Ergebnis
Über 35.000 Publikationen zu Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler aus den Jahren 2006 bis 2015 haben die an der Studie beteiligten Forscherinnen und Forscher ausgewertet. Mit einem klaren Ergebnis: Weltweit sind nur 25 Prozent der Autoren Frauen. Dabei stellen sie nur 30,2 Prozent aller Erstautoren der untersuchten Publikationen und nur 20,8 Prozent aller Seniorautoren.
„Das Ausmaß der Geschlechterungleichheit in unserem Fachgebiet hat uns überrascht. Gerade auf einem Forschungsgebiet wie den angeborenen Herzfehler muss so ein Ergebnis alarmieren. In solchen dynamisch wachsenden Pionierbereichen wird händeringend nach begabtem Nachwuchs gesucht“, sagt Paul-Gerhard Diller, Oberarzt an der Klinik für Kardiologie III: Angeborene Herzfehler (EMAH) und Klappenerkrankungen am Universitätsklinikum Münster.
Leichter Zuwachs bei großen regionalen Unterschieden
Laut Studie ist der Anteil der weiblichen Erstautoren an den Publikationen im gesamten Zeitraum weltweit um rund 0,8 Prozent gestiegen. Bei den Seniorautorinnen liegt der Zuwachs bei knapp 0,6 Prozent.
Doch zeigt die Betrachtung einzelner Regionen und Länder auch, dass die Entwicklung stark auseinandergeht und zum Teil sogar rückläufig ist, wie die Kardiologin und Studienautorin Margarita Brida einschränkt: „Während Nordamerika und einige Regionen in Europa einen Anstieg des Anteils der weiblichen Autorenschaft aufwiesen, verzeichneten Osteuropa und Westasien einen tatsächlichen Rückgang der weiblichen Erstautorenschaft.“
Rückläufig sei hier auch die Gesamtzahl der weiblichen Autoren und der Seniorautorinnen, wobei der Frauenanteil in den osteuropäischen Ländern im gesamten Untersuchungszeitraum über dem Durchschnitt liegt.
Deutschland hinkt hinterher
Zum weltweiten Anstieg des Anteils der weiblichen Autorinnen trugen dabei zwar einzelne Regionen, nicht aber alle ihre Länder bei. So bildet etwa Deutschland, immerhin eines der wohlhabendsten Länder der Welt, einen Ausreißer in der Gruppe der westeuropäischen Länder, und zwar nach unten.
Mit 22,8 Prozent bewegt sich der Anteil der Erstautorinnen in Deutschland sowohl unter dem globalen als auch weit unter dem westeuropäischen Durchschnitt von immerhin 33,2 Prozent. Bei den Seniorautorinnen, deren Anteil in Westeuropa mit 18,3 Prozent bereits deutlich unter dem globalen Durchschnitt liegt, hat Deutschland gerade noch einen Anteil von 12,1 Prozent vorzuweisen.
Erstautorinnen und gemischte Teams erzielen bessere Ergebnisse
Zugleich fanden die Wissenschaftler heraus, dass sowohl Publikationen mit einer Erstautorin als auch Publikationen mit einem gemischten Autorenpanel in Zeitschriften mit einem deutlich höheren Impact-Faktor veröffentlicht und sehr viel häufiger zitiert wurden als solche, bei denen der Erstautor ein Mann war.
Für die medizinische Laufbahn der Autoren sind Impact-Faktoren und Zitationen in weiteren anerkannten Fachmedien bedeutsam, wie Gerhard-Paul Diller erläutert: „Veröffentlichungen in Peer-Review-Zeitschriften sagen nicht nur etwas über die relative Qualität der Forschung aus. Sie sind nach wie vor ein integraler Bestandteil des Promotionssystems und werden allgemein als unerlässlich für den Aufstieg in die Spitzengruppe der akademischen Medizin angesehen.“
Zudem spielen solche Publikationen im internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel aber auch um medizinische Innovationen eine große Rolle. Auch hier zeigten die Zahlen, dass der Forschungsstandort Deutschland bei der akademischen Produktion weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Bei der Anzahl der Publikationen zu Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler rangiert Deutschland auf dem sechsten Platz hinter den USA, Japan, China, Großbritannien und Italien.
Bei den tonangebenden Publikationen belegt Deutschland den dritten Platz hinter den USA und Großbritannien. „Ein beunruhigender Zustand für den Innovationsstandort Nummer eins. Wir werden weiterhin an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn wir versäumen, das verfügbare Potenzial und Know-how von Frauen zu fördern“, befürchtet der EMAH-Kardiologe.
Genderbias verhindert Vielfalt
Während Frauen bei der Publikation eigener Forschungsergebnisse immerhin insgesamt fast ein Drittel der Gesamtautorschaft auf sich vereinigen, treten sie bei von den Fachverlagen angeforderten Publikationen wie Vorworten, Fallberichten oder Leitlinien kaum in Erscheinung. Dies deute darauf hin, dass die männerdominierten informellen Netzwerke nach wie vor Männer bevorzugten.
Wissenschaftlerinnen verfassten zugleich deutlich seltener Briefe an die Herausgeber als ihre männlichen Kollegen. Aus Sicht der Wissenschaftler ein Zeichen dafür, dass unter männlich geprägten Strukturen, tradierten Geschlechterrollen und teils unbewussten Wahrnehmungsmustern sowohl die der Forschung zuträgliche Geschlechtervielfalt als auch das Selbstwertgefühl der Forscherinnen leidet.
„Die Zurückhaltung der Wissenschaftlerinnen kommt nicht von ungefähr. Ein aktives Forschungsengagement muss attraktiver werden für Frauen. Das bedeutet auch, dass wir als männliche Vorgesetzte und Entscheider umdenken müssen, um eine auf Gender-Diversität ausgerichtete Forschungstätigkeit bewusst und gezielt zu fördern“, resümiert Gerhard-Paul Diller.
Seniorautorinnen fördern Erstautorinnen
Darüber hinaus legen die Wissenschaftler mit ihrer Analyse der länderspezifischen Faktoren, die sich positiv auf die Beteiligung von Frauen an Forschung auswirken, ein Ergebnis vor, das den Blick auf eine mögliche Lösung des Problems frei gibt. „Die Wahrscheinlichkeit der Mitwirkung einer Erstautorin stieg vor allem dann, wenn eine Seniorautorin an der Forschung beteiligt war,“ fasst Margarita Brida das Ergebnis der Analyse zusammen.
Berücksichtigt hatten die Forscher das jeweilige Bruttoinlandsprodukt, den Human Development Index (HDI), den Gender Inequality Index (GII), die Anzahl der Ärzte pro Kopf und die Beteiligung von Seniorautorinnen. An den Publikationen der Seniorautorinnen waren dabei zu 50 Prozent Erstautorinnen beteiligt, bei den Männern dagegen waren Erstautorinnen nur bei einem Viertel der Publikationen vertreten.
Die Forscher stellen daher neben angemessenen Unterstützungs- und Vergütungsstrukturen die gezielte Förderung weiblicher Führungskräfte und Vorbilder zur Diskussion und empfehlen dazu Mentoren- und Sponsoringprogramme sowie ausreichend finanzierte lokale Weiterbildungsangebote.
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Wissenschaftliche Details zur Studie
Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:
Publikationen
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3.4.2019
Sex differences in publication volume and quality in congenital heart disease: are women disadvantaged?
van Doren S, Brida M, Gatzoulis MA, Kempny A, Babu-Narayan SV, Bauer UMM, Baumgartner H, Diller GP
Open heart 6, 1, e000882, (2019). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.
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