Herz-Kreislauf-Medikamente können die Lebenserwartung der Betroffenen mit Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen verbessern., iStockphoto.com | Tassil © iStockphoto.com | Tassil

Versorgungsforschung | Pharma

Wenn die rechte Herzkammer übernimmt

Care for systemic right ventricle in Germany

Wissenschaftlicher Name der Studie

Late outcome, therapy and systemic ventricular function in patients with a systemic right ventricle: data of the German National Register for Congenital Heart Defects.

Große Fortschritte in der Herzmedizin haben die Lebenserwartung bei angeborenen Herzfehlern deutlich erhöht. Selbst bei schwerem angeborenem Herzfehler erreichen heute über 90 Prozent der Betroffenen das Erwachsenenalter. Allerdings sind sie anders als Herzgesunde auf eine lebenslange regelmäßige fachärztliche Kontrolle und Nachsorge angewiesen.

Zu spät erkannt können Folgeerkrankungen und Komplikationen Lebenserwartung und Lebensqualität erheblich vermindern. „Im Langzeitverlauf zählen die Entstehung einer Herzschwäche und der plötzliche Herztod zu den großen Risiken. Das gilt besonders auch für Patientinnen und Patienten mit systemischem rechtem Ventrikel“, sagt Corinna Lebherz, EMAH-Kardiologin und Oberärztin an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik RWTH Aachen.

Wenn die rechte Herzkammer übernimmt

Für das überlebensnotwendige Zusammenspiel von Lungenkreislauf und Körperkreislauf ist unser Herz der entscheidende Motor. Bei einem gesunden Herzen wird sauerstoffarmes Blut mit niedrigem Druck von der rechten Herzkammer in die Lunge gepumpt und dort mit Sauerstoff angereichert. Die muskelstarke linke Herzkammer pumpt das sauerstoffreiche Blut mit höherem Druck aus der Lunge in den Körperkreislauf und versorgt damit sämtliche Organe.

Bei einer Transposition der großen Arterien (TGA) sieht das anders aus. Wird sie durch eine Vorhofumkehr-Operation korrigiert, übernimmt die rechte Herzkammer die Funktion der linken Herzkammer. Dies ist auch bei der seltenen sogenannten kongenital korrigierten TGA (ccTGA) der Fall, bei der neben den großen Arterien auch die Herzkammern vertauscht angelegt sind. Die Mediziner sprechen daher in beiden Fällen von einem „systemischen rechten Ventrikel“. 

  • Gut zu wissen

    Wie kommt es zu einem systemischen rechten Ventrikel?

    Herz-Kreislauf-Medikamente können die Lebenserwartung der Betroffenen mit Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen verbessern.

    Mit bis zu sieben Prozent aller angeborenen Herzfehler zählt die Transposition der großen Arterien (TGA) zu den häufigeren schweren angeborenen Herzfehlern. Bei einer TGA ist der Ursprung der Hauptschlagader mit dem Ursprung der Lungenschlagader vertauscht. Die Folge: Körperkreislauf und Lungenkreislauf arbeiten nicht wie üblich „in Serie geschaltet“, sondern parallel. Das ist lebensbedrohlich, denn auf diese Weise kann das sauerstoffreiche Blut nicht in den Körper gelangen.

    Wie der Körper Zeit gewinnt

    In einigen Fällen hilft der Körper sich selbst. Löcher in den Herzscheidewänden stellen dann eine Art Kurzschluss-Verbindung zwischen den Blutkreisläufen her. Oftmals bleibt auch der Ductus arteriosus geöffnet - eine kleine Gefäßverbindung zwischen Körper- und Lungen-Schlagader, die sich üblicherweise nach der Geburt verschließt. Zwar funktioniert die Sauerstoffversorgung durch diese Kurzschluss-Verbindungen nur eingeschränkt, aber auf diese Weise gewinnt der Körper Zeit bis zur notwendigen Korrektur-Operation.

    Vertauschte Herzkammern

    Und es gibt einen seltenen Sonderfall, der in der Regel jedoch mit weiteren korrekturbedürftigen Fehlbildungen wie etwa einem Ventrikelseptumdefekt oder einem Herzklappendefekt einhergeht: Bei der so genannten kongenital korrigierten TGA (ccTGA) sind auch die Herzkammern vertauscht. Der rechte Vorhof ist dann mit der linken Herzkammer verbunden, die das sauerstoffarme Blut zur Sauerstoffaufnahme in die Lunge pumpt. Und der linke Vorhof ist mit der rechten Herzkammer verbunden, die das Blut in die Hauptschlagader pumpt. Damit übernimmt die rechte Herzkammer die Funktion der linken Herzkammer.

    Funktionsumkehr durch Operation

    Eine solche Funktionsumkehr wird bei einer TGA auch durch die sogenannte Vorhofumkehr-Operation (atriale Switch-Operation) hergestellt. Bei diesem Korrekturverfahren wird das sauerstoffarme Blut aus der oberen und unteren Körperhälfte so über den rechten Vorhof umgeleitet, dass es in die linke Herzkammer und von dort zur Sauerstoffaufnahme in die Lunge gepumpt wird. Umgekehrt wird das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge durch den linken Vorhof hindurch in die rechte Herzkammer umgeleitet und von dort in die Hauptschlagader gepumpt.

     

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Herzschwäche zählt zu häufigen Spätfolgen

Allerdings ist die Muskulatur der rechten Herzkammer im Unterschied zur linken Herzkammer nicht für die anstrengenden Pumpvorgänge zur Blutversorgung des gesamten Körpers ausgelegt. Das sorgt für ein deutlich erhöhtes Risiko, an Spätkomplikationen zu versterben, wie EMAH-Kardiologin Corinna Lebherz erläutert.

„Die rechte Herzkammer gewinnt an Muskelmasse. Damit kann sie die vermehrte Arbeit zwar anfangs noch bewältigen. Auf Dauer kommt es jedoch oft zu einer Versteifung der Muskulatur. Die Herzkammer weitet sich, das Herz kann nicht mehr gut pumpen. Damit einher geht häufig, dass sich die Trikuspidalklappe, das Einlassventil der rechten Herzkammer, nicht mehr vollständig öffnet und schließt. Die Veränderungen bringen zugleich ein erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörungen mit sich. Unbehandelt können solche Veränderungen zum Herzstillstand führen“, so die Oberärztin.

Risiken minimieren

Die Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung der Herzschwäche liegt auf der Hand. Doch es gibt einen Haken: „Der Nutzen entsprechender Medikamente ist für Patienten mit einer eingeschränkten Funktion der linken Herzkammer wissenschaftlich gut belegt. Für Patienten mit systemischem rechtem Ventrikel jedoch fehlt es noch an vergleichbaren Studien. Das führt unter Umständen dazu, dass eine medikamentöse Therapie für letztere zu selten in Betracht gezogen und diskutiert wird. Hier müssen Nutzen und Risiken individuell abgewogen werden“, schildert Corinna Lebherz das Dilemma.

In einer bundesweiten Studie hat sie daher gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten mit systemischem rechtem Ventrikel nach einer Vorhofumkehr-Operation bzw. bei vorliegender kongenital korrigierter TGA in Deutschland untersucht: „Wir wollten wissen, bei wie vielen eine Herzschwäche festgestellt wurde und bei wie vielen sie medikamentös behandelt wurde.“

Verläufe nach atrialer Switch-Operation und bei ccTGA

Dazu werteten die Forschenden rückwirkend die Krankheitsverläufe von insgesamt 380 Teilnehmenden des Nationalen Registers aus. Das Team analysierte die medizinischen Daten von 285 Patientinnen und Patienten mit TGA nach atrialer Switch-Operation und 95 Patientinnen und Patienten mit angeborener korrigierter Transposition der großen Arterien. Die Daten stammten aus den Jahren 2008 bis 2018. Das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten lag bei 33 Jahren.

Eingeschränkte Pump-Funktion bei jedem dritten bis vierten Patienten

„Es stellte sich heraus, dass die Pump-Funktion der rechten Herzkammer bei über einem Viertel der Patienten (25,5 Prozent) nach einer atrialen Switch-Operation und bei mehr als einem Drittel der Patienten mit kongenital korrigierter Transposition (35,1 Prozent) als mäßig oder stark eingeschränkt beschrieben wurde“, sagt Corinna Lebherz. „Trotzdem war der Einsatz von Herz-Kreislaufmedikamenten zur Therapie einer Herzschwäche sehr selten.“

Zukünftig bessere Behandlung der Herzschwäche bei EMAH?

Muss das Studienergebnis beunruhigen? „Nicht zwingend. Das Ergebnis könnte auch mit dem Erfassungszeitraum der Daten zusammenhängen. Das Bewusstsein für den Nutzen der medikamentösen Behandlung ist seither deutlich gestiegen“, schränkt Corinna Lebherz ein. „Inzwischen sind mit den sogenannten SGLT2-Hemmern neue vielversprechende Medikamente zugelassen. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat ihre Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz entsprechend angepasst“, so die EMAH-Kardiologin.

Es sei davon auszugehen, dass die Medikamente zunehmend auch bei Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler eingesetzt werden, deren rechte Herzkammer die Aufgaben der linken Herzkammer übernimmt. Auch stimmten erste Studien in dieser Patientengruppe zuversichtlich. „Weitere randomisierte, kontrollierte Studien sollten unbedingt angestrebt werden“, sagt Corinna Lebherz.

Risiken und Nutzen individuell abwägen

Die Forschenden raten dringend zu regelmäßigen, fachärztlichen Nachkontrollen. Bei vorliegendem systemischem rechtem Ventrikel gepaart mit Symptomen oder Anzeichen einer Herzschwäche sollte die Einleitung einer entsprechenden medikamentösen Therapie diskutiert werden. Dabei bleibe es wichtig, Risiken und Nutzen der Medikamente individuell abzuwägen. Die Entscheidung sollte gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten getroffen werden.

  • Wissenschaftliche Details der Studie

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 1.8.2022

      Late outcome, therapy and systemic ventricular function in patients with a systemic right ventricle: data of the German National Register for Congenital Heart Defects.

      Lebherz C, Gerhardus M, Lammers AE, Helm P, Tutarel O, Bauer U, Bülow T, Kerst G, Diller GP, Marx N

      Cardiology in the young 32, 8, 1235-1245, (2022). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.


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