Mütter mit angeborenem Herzfehler: Bei spezialisierter Betreuung sind die Risiken einer Schwangerschaft geringer als bislang angenommen., iStockphoto.com | Nikola Stojadinovic © iStockphoto.com | Nikola Stojadinovic

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Kinderwunsch bei angeborenem Herzfehler?

Risiken bei Schwangerschaft besser einschätzbar

Wissenschaftlicher Name der Studie

Maternal and neonatal complications in women with congenital heart disease: a nationwide analysis

Eine Schwangerschaft trotz angeborenem Herzfehler? Davon rieten Ärztinnen und Ärzte bislang häufig ab. Zu hoch erschienen die Gesundheitsrisiken für Mutter und Kind. Jetzt gibt eine neue Studie teilweise Entwarnung.

„Die zentrale Erkenntnis ist, dass viele Frauen, die einen angeborenen Herzfehler haben, eine Schwangerschaft und auch die Geburt sicher überstehen können“, sagt Professor Astrid Lammers, Erstautorin der Studie. „Das darf jedoch nicht über die Risiken hinwegtäuschen. Laut Studienergebnis sind Kinder von Müttern mit angeborenem Herzfehler sechsmal häufiger von einer Fehlbildung des Organs betroffen als die Kinder herzgesunder Mütter“, so die Fachärztin für Kinderkardiologie am EMAH-Zentrum des Universitätsklinikum Münster.

Weltweit größte Studie zu Schwangerschaften mit AHF

Auf Basis der anonymisierten Daten der Barmer Krankenversicherung konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt 7.512 Schwangerschaften bei 4.015 Frauen mit angeborenen Herzfehlern (AHF) nachverfolgen und die entsprechenden medizinischen Faktoren auswerten.

Zwar zeigten die Ergebnisse deutlich, dass bei Müttern mit angeborenen Herzfehlern und ihren Babys vergleichsweise häufiger gesundheitliche Komplikationen auftraten als in der Kontrollgruppe von 6.502 herzgesunden Frauen mit insgesamt 11.225 nachbeobachteten Schwangerschaften. „Grundsätzlich aber haben die Frauen mit angeborenen Herzfehlern und ihre Babys Schwangerschaft und Geburt gut bewältigt, ohne dass es zu einem Todesfall in dieser Gruppe kam“, stellt Professor Astrid Lammers fest.

Es sei sehr ermutigend zu sehen, dass so viele Patientinnen mit angeborenem Herzfehler gesunde Kinder zur Welt bringen können, so die Ärztin weiter. Die Studie helfe Ärzten und Patienten, die Risiken einer Schwangerschaft sowie mögliche Komplikationen und Probleme einer Geburt besser einzuschätzen.

Beeindruckender Beleg für den medizinischen Fortschritt

Aus Sicht der Forscherinnen und Forscher ist das Ergebnis der Studie im Hinblick auf die medizinischen Standards in den westlichen Industrieländern auch Teil einer Erfolgsgeschichte. „Wenn man bedenkt, dass insgesamt eins von hundert Kindern mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt kommt, ist das ein beeindruckender Beleg für den medizinischen Fortschritt. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätten viele Kinder mit angeborenen Herzfehlern auch hierzulande nicht einmal das Erwachsenenalter erreicht", erinnert Ulrike Bauer, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Nationalen Registers und des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler.

Die engmaschige Betreuung durch EMAH-Spezialisten ebenso wie die Weiterentwicklung der neonatalen Intensivpflege und -techniken führten heute dazu, dass ein Großteil der in der Studie beobachteten Probleme mit medizinischer Unterstützung überwunden werden könne. „Trotzdem sollte bei jedem Kinderwunsch dringend eine genaue Risikoabwägung durch EMAH-Spezialisten erfolgen.“

Erhöhte Risiken für Mutter und Kind bei AHF

Der Studie zufolge waren die Komplikationen für Mütter mit angeborenen Herzfehlern insgesamt verhältnismäßig gering. Dennoch zeigte sich in dieser Gruppe im Vergleich zu Frauen ohne angeborenen Herzfehler mit 1,13 Prozent gegenüber 0,17 Prozent eine erhöhte Rate an Schlaganfällen. Auch das Risiko eines Herzversagens lag mit 0,84 Prozent gegenüber 0,03 Prozent höher. Ähnliches gilt auch für Herzrhythmusstörungen (0,82 Prozent gegenüber 0,12 Prozent). Entbindungen per Kaiserschnitt waren bei Frauen mit angeborenem Herzfehler mit 40,5 Prozent häufiger als bei herzgesunden Frauen (31,5 Prozent).

Föten von werdenden Müttern mit AHF hatten ein leicht erhöhtes Risiko für pränatale Sterblichkeit (1,4 Prozent gegenüber 0,4 Prozent). Auch die Rate der Säuglinge, die im ersten Lebensmonat verstarben war mit 0,83 Prozent gegenüber 0,22 Prozent in der herzgesunden Kontrollgruppe erhöht. Neugeborene von Müttern mit AHF wiesen zudem häufiger ein niedriges (1.000 bis 2.499 Gramm) oder extrem niedriges Geburtsgewicht (weniger als 1.000 Gramm) auf.

Angeborene Herzfehler können vererbt werden

Frühgeburten, größere sichtbare Anomalien, genetische Syndrome kamen bei Säuglingen von AHF-Müttern etwas häufiger vor. Die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Kind mit angeborenem Herzfehler zu bekommen, lag bei Frauen mit AHF etwa sechs Mal höher als bei Frauen ohne AHF.

Zudem benötigten sechs Prozent der Kinder von AHF-Patientinnen bis zum Alter von sechs Jahren eine Herz-Operation mit Unterstützung durch die Herz-Lungen-Maschine; bei herzgesunden Müttern waren es dagegen 0,4 Prozent. „Kinder von Müttern mit AHF sind in höherem Ausmaß von schwerwiegenden Herzfehlern betroffen, die früh im Leben durch eine OP am offenen Herzen korrigiert werden müssen“, ordnet Professor Astrid Lammers ein.

Fachkundige Begleitung ist A und O

Dabei konnten die Forscher anhand der Ergebnisse belegen, dass die Schwere des Herzfehlers der Mutter und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck oder eine Herzinsuffizienz sowie eine blutverdünnende Behandlung mit Gerinnungshemmern im Jahr vor der Schwangerschaft, aber auch eine vorangegangene Fruchtbarkeitsbehandlung im Zusammenhang mit einer Häufung medizinischer Probleme bei Neugeborenen standen.

„Es ist von daher unbedingt notwendig, dass werdende Mütter mit einem angeborenen Herzfehler durch eine EMAH-kardiologische Ambulanz betreut werden, die auf die Nachbehandlung angeborener Herzfehler spezialisiert ist“, betont Professor Astrid Lammers. Auch sei eine Schwangerschaft nicht bei allen angeborenen Herzfehlern zu empfehlen, da bestimmte mütterliche Herzfehler nach wie vor mit einer sehr hohen Komplikationsrate für die Mütter verbunden sind.

  • Gut zu wissen

    Auch für Frauen ohne AHF ein Kraftakt fürs Herz

    Eine Schwangerschaft ist ein körperlicher Kraftakt. © iStockphoto.com | NataliaDeriabina
    Eine Schwangerschaft ist ein körperlicher Kraftakt.

    Schwangerschaft und Geburt sind grundsätzlich ein körperlicher Kraftakt mit enormen, körperlich notwendigen Veränderungen des Kreislaufs auch für herzgesunde Frauen und ihre Kinder. In der Regel passt sich das weibliche Herz an dieses Hochleistungsprogramm an. Die Herzfrequenz steigt um 10 bis 30 Schläge pro Minute. Und auch die Menge des Blutes, die in einer Minute durch das Herz gepumpt wird, steigt bis zur 32. Schwangerschaftswoche um 30 bis 50 Prozent an. Die Blutgefäße erweitern sich, und das Herz wird für die Zeit bis nach der Geburt um bis zu 30 Prozent größer. Der systolische Blutdruck fällt bis zur Schwangerschaftsmitte ab und erreicht gegen Schwangerschaftsende wieder die Ausgangswerte. Bei der Geburt steigt der Sauerstoffverbrauch der Mutter bis auf das Dreifache an. Diese Veränderungen fallen bei werdenden Müttern mit AHF anders ins Gewicht.

     

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Frühzeitige Beratung bei Kinderwunsch

Umso wichtiger ist aus Sicht der Forscher die frühzeitige Beratung von AHF-Patientinnen mit Kinderwunsch durch den behandelnden EMAH-Arzt. Themen wie Schwangerschaft und Familienplanung sollten rechtzeitig angesprochen werden, etwa auch um Medikamente, die ein potenzielles Risiko in der Schwangerschaft bergen, bereits im Vorfeld identifizieren und die medikamentöse Behandlung entsprechend umstellen zu können.

„Eine umfassende fachkundige Begleitung dieser Patientengruppe während der Schwangerschaft, der Geburt und auch nach der Entbindung durch Gynäkologen, Perinatalmediziner, Geburtshelfer und Kinderärzte ist von herausragender Bedeutung für die Mutter-Kind-Gesundheit, die begleitende engmaschige Kontrolle durch spezialisierte Kardiologen dabei unbedingt empfehlenswert“, fasst Professor Astrid Lammers zusammen.

  • Wissenschaftliche Details zur Studie

    Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:

    Publikationen

    • 1.11.2021

      Maternal and neonatal complications in women with congenital heart disease: a nationwide analysis.

      Lammers AE, Diller GP, Lober R, Möllers M, Schmidt R, Radke RM, De-Torres-Alba F, Kaleschke G, Marschall U, Bauer UM, Gerß J, Enders D, Baumgartner H

      European heart journal 42, 41, 4252-4260, (2021). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.

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