Ein älteres Paar schaut beim Wandern in eine Karte., Freepik / www.freepik.com © Freepik / www.freepik.com

Medizin und Versorgung | Versorgungsforschung

Alt werden mit angeborenem Herzfehler?

OptAHF: Umfassendes Forschungsprojekt gibt Auskunft

Wie ist es, mit einem angeborenen Herzfehler alt zu werden? Wo liegen besondere Risiken? Und wie gut sind die Patientinnen und Patienten auch im Erwachsenenalter medizinisch versorgt? Im Rahmen von OptAHF wurde erstmals umfassend dazu geforscht. Es ist die bislang größte Versorgungsstudie, die es je in diesem Bereich gegeben hat. Wir haben die Forschungsverantwortlichen befragt.

Dr. med. Ulrike Bauer, KNAHF, Prof. Dr. Dr. med. Gerhard-Paul Diller, UKM und Dr. med. Ursula Marschall, bifg, verantworten mit OptAHF die bislang größte Studie zur medizinischen Versorgung bei angeborenen Herzfehlern. © Wolfram Scheible, UKM, Barmer, SellingerGriesbach
Dr. med. Ulrike Bauer, KNAHF, Prof. Dr. Dr. med. Gerhard-Paul Diller, UKM und Dr. med. Ursula Marschall, bifg, verantworten mit OptAHF die bislang größte Studie zur medizinischen Versorgung bei angeborenen Herzfehlern.

Herzerforscher-Redaktion: Frau Dr. Bauer, Sie leiten als Geschäftsführerin das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler und das Nationalen Register für angeborene Herzfehler und damit eine der weltweit größten Forschungsplattformen auf diesem Gebiet. In Deutschland leben heute geschätzt 300.000 Erwachsene mit leichten, moderaten oder schweren angeborenen Herzfehlern, kurz EMAH. Und die Zahl der EMAH wächst seit Jahren kontinuierlich. Was bedeutet das?

Ulrike Bauer: 97 Prozent der Kinder mit angeborenen Herzfehlern erreichen heute das Erwachsenenalter. Das ist eine Erfolgsgeschichte der Forschung, die eine verbesserte Diagnostik und Therapie ermöglicht hat. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass eine durchgängige spezialisierte Versorgung in jedem Lebensalter bei angeborenen Herzfehlern erst noch zu einer Selbstverständlichkeit werden muss. Viele versterben viel zu früh daran.

Herzerforscher-Redaktion: Herr Professor Diller, Sie sind EMAH-Spezialist am Universitätsklinikum in Münster und leiten die Forschung zu OptAHF. Das von Ihnen initiierte und 2018 gestartete Projekt ist eines der Umfassendsten, das es je zu den Risiken und zur medizinischen Versorgung bei angeborenen Herzfehlern gegeben hat. Wie weit lässt sich heute in die Zukunft von Menschen mit angeborenen Herzfehlern schauen?

Professor Gerhard-Paul Diller: Bei unserer bundesweiten Versorgungsanalyse handelt es sich um die bislang größte Studie zu dem Thema. Wir konnten dafür auf die anonymisierten Daten der Versicherten aller Altersgruppen mit sämtlichen ambulanten und stationären Maßnahmen und Diagnosen zurückgreifen, die im Zeitraum von 2005 bis 2019 durch die Barmer Krankenkasse kodiert wurden. Wir haben damit einen Überblick bis ins hohe Alter.

Herzerforscher-Redaktion: Frau Dr. Marschall, Sie sind Leiterin des Bereichs Medizin und Versorgungsforschung am Institut für Gesundheitssystemforschung der Barmer und verantworten OptAHF von Seiten der Krankenkasse. Die Forschung mit Daten einer Krankenkasse ist noch Neuland. Worauf kam es Ihnen an?

Ursula Marschall: Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Versicherten optimal versorgt werden und eine gute Lebensqualität haben. Routinedaten der Krankenkassen können dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Mit diesen lassen sich besonders gut die Wege der Patienten zwischen Behandlern im ambulanten und stationären Bereich darstellen.  

Mehr als die Hälfte der Patienten kommt bei den EMAH-Spezialisten nicht an.

Herzerforscher-Redaktion:  Herr Professor Diller, was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Erkenntnis von OptAHF?

Professor Gerhard-Paul Diller: Forschungsergebnisse verschiedener Studien deuteten schon in der Vergangenheit darauf hin, dass es in der Versorgung Jugendlicher und Erwachsener mit angeborenen Herzfehlern Lücken gibt. Diese Vermutung hat sich durch die bundesweite Langzeitstudie bestätigt. Mehr als die Hälfte der Patienten kommt bei den EMAH-Spezialisten nicht an. Für die zunehmend größer werdende Patientengruppe ist das ein Problem.

Herzerforscher-Redaktion: Was bedeutet das am konkreten Beispiel?

Professor Gerhard-Paul Diller: Schon zwischen 15 und 25, erst recht jedoch ab einem Alter von 45 steigen bei mittleren und schweren Herzfehlern die Risiken von Folgeerkrankungen erheblich an. Dem ließe sich gezielt vorbeugen. Lungenhochdruck und Herzrhythmusstörungen beispielsweise müssen rechtzeitig erkannt und spezialisiert behandelt werden. Auch Risiken in der Schwangerschaft oder Risiken durch Gerinnungshemmer sowie durch Medikamente auf Amiodaronbasis gegen tachykarde Herzrhythmusstörungen werden häufig fehleingeschätzt.

Zu den Betroffenen zählt die ganze Familie, auch der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin. Das wird oft vergessen.

Herzerforscher-Reaktion: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

Professor Gerhard-Paul Diller: Wichtig ist, dass alle Behandelnden und Betroffenen mehr miteinander reden und dass auch fachübergreifend stärker miteinander kommuniziert wird. Mit Behandelnden meinen wir neben Ärztinnen und Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen auch medizinisches Fachpersonal aus anderen Bereichen wie der Psychologie, Rehabilitationsmedizin oder Physiotherapie. Und zu den Betroffenen zählt die ganze Familie, auch der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin. Das wird oft vergessen.

  • Gut zu wissen

    Das OptAHF Forschungsprojekt

    Das Forschungsprojekt OptAHF wird in Kooperation mit der Barmer Krankenkasse und dem Nationalen Register für angeborene Herzfehler durchgeführt. Von Juni 2018 bis April 2022 hat der Innovationsfonds des gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, das Vorhaben gefördert. Die Forschung zu OptAHF geht weiter. Mehr dazu erfahren Sie im OptAHF-Spezial.

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Eine qualifizierte, zentralisierte Behandlung trägt dazu bei, unnötige Gesundheitsausgaben zu minimieren.

Herzerforscher-Redaktion: Frau Dr. Marschall, was bedeuten die Forschungsergebnisse aus Sicht der Barmer? Was können die Krankenkassen zur Verbesserung der Versorgung beitragen?

Ursula Marschall: OptAHF hat belegt, dass angeborene Herzfehler einer kontinuierlichen medizinischen Begleitung durch entsprechend spezialisierte Zentren bedürfen. Bei der Information, wo das nächste Zentrum wohnortnah zu erreichen ist, können auch die Kassen unterstützen. Eine qualifizierte, zentralisierte Behandlung trägt zudem dazu bei, unnötige Gesundheitsausgaben zu minimieren. Diese entstehen durch Fehleinschätzungen, Fehlbehandlungen und unnötige Doppeluntersuchungen.

Herzerforscher-Redaktion: Welche Rolle spielt die Forschung für die Lebensqualität und Lebenserwartung der Betroffenen?

Professor Gerhard-Paul Diller: Eine ganz entscheidende. Wir müssen die interdisziplinäre Forschung weiter vorantreiben. Wie sich typische Alterserkrankungen bei angeborenen Herzfehlern und ihrer jeweils besonderen Anatomie auswirken, darüber wissen wir bislang noch zu wenig. Das ändert sich durch Studien wie OptAHF erst allmählich.

Herzerforscher-Redaktion: Frau Dr. Bauer,  Frau Dr. Marschall, Herr Professor Diller, wir danken Ihnen für das Gespräch!

OptAHF-Spezial

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