Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln beachten: Die Corona Pandemie verändert unseren vertrauten Alltag auf unbestimmte Zeit., iStockphoto.com | kzenon © iStockphoto.com | kzenon

Herzerforscher - Extra | Gespräch

Corona-Pandemie: Risikopatienten verunsichert

Im Gespräch mit dem EMAH-Spezialisten Gerhard-Paul Diller

Seit Beginn der Coronakrise leben wir im Ausnahmezustand. Jetzt tasten wir uns mit ersten Lockerungen vorsichtig vorwärts auf dem Weg in ein „neues Normal“. Doch was bedeutet das für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern?

Die Verunsicherung ist groß. Noch fehlt es an vielen wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen von Covid-19/SARS-CoV-2, zum Infektionsgeschehen, zu den Folgeschäden bei einer durchgestandenen Erkrankung durch das Virus, zur Immunisierung dagegen und vor allem zu seiner wirksamen Bekämpfung. Wie lässt sich, auch als Risikopatient mit einem angeborenen Herzfehler, zu einem möglichst gelassenen Umgang mit der Pandemie finden? Und geht das überhaupt?

Das haben wir im Videogespräch den Spezialisten für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlen, Prof. Dr. Dr. med. Gerhard-Paul Diller, gefragt und uns dazu mit der Sprachlehrerin Eva Niggemeyer Verstärkung in die Redaktion geholt. Sie hat selbst einen komplexen angeborenen Herzfehler.

Herzerforscher-Magazin: Frau Niggemeyer, wie haben Sie die Pandemie in den vergangenen sieben Wochen erlebt? Was hat sich in Ihrem Alltag und auch in Ihrem Berufsleben als Sprachlehrerin verändert, was waren da vielleicht auch die größten Einschnitte?

Eva Niggemeyer:  Ich bin jetzt seit Anfang des Lockdowns zuhause. Ich gehe nicht mehr selbst einkaufen. Meine Nachbarn machen das für mich. Ich arbeite natürlich auch nicht. Unser Träger ist momentan geschlossen. Wir dürfen keine Sprachkurse machen. Das war bis vorgestern so. Vorgestern habe ich mich das erste Mal getraut, wieder einkaufen zu gehen. Und das war schon fast traumatisch für mich. Das mache ich so sicherlich nicht noch einmal. Viele halten sich einfach nicht an die Regeln. Mich hat auch überrascht, dass das Kassenpersonal im Supermarkt offenbar von der Maskenpflicht ausgenommen ist. Ich verstehe schon, warum. Aber das, was man mir zum Schutz vor einer Ansteckung rät, funktioniert eben nur, wenn andere Leute ihre Maske richtig tragen oder überhaupt eine Maske aufsetzen und dieser Abstand eingehalten wird. Darauf bin ich angewiesen. Und es passen nun mal nicht alle Leute auf. Ich finde das total verunsichernd.

Eva Niggemeyer im Video-Gespräch mit Gerhard-Paul Diller und dem Herzerforscher-Magazin. © Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
Eva Niggemeyer im Video-Gespräch mit Gerhard-Paul Diller und dem Herzerforscher-Magazin.

Herzerforscher-Magazin: Gerade haben der Bund und die Länder einen neuen Rahmen für einzelne Lockerungen vorgegeben. Jetzt wird stärker auch auf die Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern gesetzt. Kindergärten und Schulen, Geschäfte und Restaurants, auch Museen und Konzerthäuser öffnen wieder, wenn auch unter strikten Auflagen. Wie geht es Ihnen als Risikopatientin damit?

Eva Niggemeyer: Ja, schwierig! Ich gucke gerade zu, wie von Bundesland zu Bundesland auch die Erwachsenenbildung wieder aufmacht. Wir warten eigentlich täglich darauf, dass unser Träger wieder öffnet. Und da weiß ich jetzt zum Beispiel gar nicht, inwiefern es überhaupt ratsam für mich wäre, wieder in den Beruf zurückzugehen. In meinem Sprachunterricht komme ich mit vielen Leuten zusammen. Und ich müsste auch mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren. Von daher schwankt die Situation für mich zwischen einerseits schönem, entspanntem Leben zuhause und, auf der anderen Seite, einer totalen Verunsicherung. Was kommt als Nächstes? Was sollte ich tun und was sollte ich auch lieber nicht tun?

Herzerforscher-Magazin: Ich sehe schon, da gibt es viele drängende Fragen an Sie, Herr Professor Diller. Bevor wir da in die Tiefe gehen: Ich sehe, Sie tragen Ihren Mundschutz um den Hals?

EMAH Spezialist Gerhard-Paul Diller: „Der Mundschutz wandert gleich in den Müll.“ © Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
EMAH Spezialist Gerhard-Paul Diller: „Der Mundschutz wandert gleich in den Müll.“

Gerhard-Paul Diller: Ja, den brauchen wir hier natürlich alle. Und der wird selbstverständlich auch nur einmal verwendet. Der wandert jetzt gleich in den Müll.

Herzerforscher-Magazin: Wie geht es Ihnen als Arzt in dieser vollkommen neuen Situation? Wie sah Ihr Klinikalltag am Universitätsklinikum Münster, am UKM, in den vergangenen sieben Wochen aus. Was hat sich für Sie verändert?

Gerhard-Paul Diller: Tja, so einiges. Wir haben hier zunächst natürlich alle Vorkehrungen getroffen für einen möglichen Ansturm. Das heißt, alle Routinemaßnahmen wurden heruntergefahren und auch die Aktivitäten in der Ambulanz wurden reduziert. Wir hatten dementsprechend ein sehr eingeschränktes Programm und haben uns auf die dringenden Fälle und die Notfälle konzentriert. Jetzt müssen wir sehen, wie wir vernünftig mit den Lockerungen umgehen und ab wann ein einigermaßen regulärer Betrieb wieder möglich sein wird. Aber klar, die vergangenen Wochen standen bei uns ganz im Zeichen dieser Vorkehrungen und Maßnahmen, um mit der befürchteten Welle an schwer erkrankten Covid-Patienten überhaupt umgehen und die Patienten adäquat versorgen zu können.

Herzerforscher-Magazin: Die Welle ist erst einmal ausgeblieben. Wie sieht es jetzt aus? Müssen Sie weiterhin damit rechnen, gerade auch vor dem Hintergrund der Lockerungen?

Gerhard-Paul Diller:  Die erste große Welle ist erst einmal ausgeblieben, zumindest bei uns in Deutschland – ich denke, dass es fair ist, das dazu zu sagen. In anderen Ländern wie zum Beispiel in Oberitalien, Frankreich, Spanien, aber auch in Teilen der USA und in Großbritannien sieht die Lage deutlich schlimmer aus. Wie wahrscheinlich eine zweite Welle ist, ist im Augenblick noch schwer abzusehen. Welche Auswirkungen die jetzigen Lockerungsmaßnahmen haben, kann uns auch nur die Zukunft zeigen. Rechnen muss man mit allem. Wir hoffen natürlich, dass uns auch weiterhin das Schlimmste erspart bleibt.

Herzerforscher-Magazin: Ja unbedingt, das bringt mich auch direkt zu der nächsten Frage. Das neue Virus ist noch unzureichend erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck an der Klärung der unterschiedlichsten Fragen. Welche Erkenntnisse haben Sie bisher am meisten überrascht? Und wie sieht das auch im Realitätsabgleich mit Ihrem Klinikalltag am UKM aus?

Gerhard-Paul Diller: Es läuft in der Tat eine Vielzahl an Studien und es gibt auch schon erste Publikationen. Viele dieser Veröffentlichungen sind allerdings noch nicht vernünftig zu bewerten, weil sie noch nicht durch den notwendigen Begutachtungsprozess gegangen sind, sondern als vorläufige Ergebnisse publiziert wurden. Überrascht hat uns, dass die Reaktionen auf die Ansteckung von vollkommen symptomfrei, vor allem bei Kindern, bis zum Multiorganversagen und zu neurologischen Schäden, vor allem bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen, reichen. Wir hoffen natürlich sehr, dass man eine Substanz finden wird, mit der sich eine Covid 19-Erkrankung gut behandeln lässt, und vor allem hoffen wir auch darauf, dass die Impfforschung rasche Fortschritte macht, damit wir möglichst zeitnah gegen diese Erkrankung immunisieren können. Solange ist es für uns eher ein Reagieren auf das Auftreten der Erkrankung. Das heißt, wir ergreifen die entsprechenden medizinischen Maßnahmen, um die Patienten bei der Bewältigung der Infektion zu unterstützen, versorgen beispielsweise Patienten, die Atemnot entwickeln, mit Sauerstoff bis hin zur künstlichen Beatmung und begleiten sie intensivmedizinisch. Das ist der Stand.

Herzerforscher-Magazin: Was für Krankheitsverläufe begegnen Ihnen in der Praxis bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern?

Prof. Dr. Dr. med Gerhard-Paul Diller im Video-Gespräch mit Eva Niggemeyer und dem Herzerforscher-Magazin. © Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
Prof. Dr. Dr. med Gerhard-Paul Diller im Video-Gespräch mit Eva Niggemeyer und dem Herzerforscher-Magazin.

Gerhard-Paul Diller: Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich. Das entspricht schon dem, was wir auch aus den meisten Veröffentlichungen kennen. Viele Patienten haben einen leichten Krankheitsverlauf, im Wesentlichen wie bei einer Grippe oder einer Erkältung. Hinzu kommt hier mutmaßlich auch ein größerer, noch unbekannter Anteil von Infizierten, den wir gar nicht sehen, weil sie keine Symptome haben. Wir sehen hier Patienten, die beispielsweise Luftnot entwickeln und stationär aufgenommen werden müssen, die sich dann aber erholen. Und bislang glücklicherweise sehr selten tritt auch eine schwere Lungenbeteiligung auf, bei der über einen längeren Zeitraum künstlich beatmet werden und natürlich auch intensivmedizinisch betreut werden muss.

Eva Niggemeyer:  Man hört immer wieder, dass die Wahrscheinlichkeit, gar keine Symptome zu entwickeln oder zumindest einen leichten Verlauf zu haben, in der Allgemeinbevölkerung relativ hoch ist. Als Risikopatientin werde ich immer wieder gefragt, und das frage ich mich selbst natürlich auch: Ist die Wahrscheinlichkeit für mich, symptomfrei zu bleiben, genauso hoch? Habe ich also nur Schlimmes zu befürchten, falls es zu einer Erkrankung kommt? Oder haben wir grundsätzlich ein erhöhtes Risiko zu erkranken? Weiß man da schon genaueres?

Gerhard-Paul Diller: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch verhältnismäßig spekulativ. Es gab erste Daten aus China, die nahelegen, dass Patienten, die ein Herz-Kreislauf-Risikoprofil haben, nicht nur einen schwereren Verlauf nehmen, sondern auch wahrscheinlicher an Covid 19 erkranken. Wir müssen entsprechend davon ausgehen, dass Patienten mit einem schweren Herzfehler grundsätzlich gefährdeter sind als jemand, der keinen Herzfehler hat.

Herzerforscher-Magazin: Frau Niggemeyer, wenn Sie das jetzt so hören: Was geht Ihnen dazu durch den Kopf? Wir wollen alle hoffen, dass es gar nicht erst dazu kommt: Aber falls Sie erkranken, was wäre Ihre größte Sorge?

Eva Niggemeyer: „Das wäre so meine größte Angst.“ © Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
Eva Niggemeyer: „Das wäre so meine größte Angst.“

Eva Niggemeyer: Meine größte Sorge ist die Intubation. Ich habe da auch ein paar Sachen gelesen von Leuten, die sagen, das sei eher schädlich, als dass es etwas nützt. Da gibt es offenbar verschiedene Meinungen. Man weiß auch nicht immer, inwieweit man allen Informationen trauen kann, die da so im Umlauf sind. Ich bin aber am Überlegen, ob ich generell so einer Intubation widersprechen würde. Und dann muss man glaube ich gucken. Eine Sauerstoffmaske, das ginge vielleicht noch. Aber die Intubation, das wäre so meine größte Angst. Ich weiß nicht, was Sie da inzwischen für Erfahrungen gemacht haben?

Gerhard-Paul Diller: So viele praktische Erfahrungen mit schwer Covid 19-Erkrankten haben wir noch nicht. Die große Welle ist ja wie gesagt gottseidank erst einmal ausgeblieben. Aber es ist natürlich grundsätzlich so, dass man die Therapie limitiert, wenn man bei einer Covid 19-Erkrankung einer Intubation und damit einer entsprechenden Beatmung widerspricht. Das ist dabei schon zu bedenken. Das hängt ja auch von der individuellen Lebenssituation, von der Lebensqualität und der Prognose ab. So etwas lässt sich nur im Einzelfall besprechen und entscheiden, wenn das überhaupt noch möglich ist. Und da wird es dann wirklich sehr schwierig. Das ist meine Sorge. In einer akuten Situation lassen sich solche Gespräche kaum in der nötigen Tiefe führen. Damit waren wir hier allerdings bislang auch noch nicht konfrontiert. Aber das kann durchaus mal kommen, das kann ich mir schon vorstellen.

Herzerforscher-Magazin: Frau Niggemeyer sprach das eben an: Es war in jüngster Zeit in der Berichterstattung öfter die Rede davon, dass die Therapieergebnisse nach einer Intubation und einer langfristigen künstlichen Beatmung bei Covid 19 nicht zufriedenstellend waren. Wie sehen die Erfahrungen in der Praxis damit bislang aus, was hören Sie da vielleicht auch von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kliniken?

Gerhard-Paul Diller: Das ist natürlich unterschiedlich. Das hängt tatsächlich sehr stark vom Risikoprofil, vom Alter, von Komorbiditäten ab. Es ist schon so, dass jüngere Patienten mit wenigen Nebenerkrankungen im Schnitt einen leichten Verlauf nehmen. Sie müssen nicht so lange beatmet werden und entwöhnen sich anschließend auch schneller von der Beatmung. Sie erholen sich damit auch deutlich besser als ältere Patienten mit vielen Nebenerkrankungen. Aber das ist glaube ich in diesem Kontext gar nicht überraschend. Das hat man ja so erwartet.

Herzerforscher-Magazin: Da wird einem schnell klar, was für eine schwierige Abwägungsfrage das für die Ärzte ist, wenn ein Patient eine solche Maßnahme für sich ablehnt: Welche Möglichkeiten haben Patienten, das selbstbestimmt zu entscheiden und es den behandelnden Ärzten damit auch zu erleichtern?

Gerhard-Paul Diller: Es gibt natürlich die klassische Form der Patientenverfügung beziehungsweise die Möglichkeit, das schriftlich niederzulegen. Nur haben wir es bei Covid 19 ja mit einer Akutsituation zu tun. Und das ist etwas ganz Anderes, als wenn man merkt, dass sich bei einer chronischen Erkrankung der Zustand sukzessive verschlechtert und die Behandlungsoptionen deutlich abnehmen. In so einer Situation bleibt dann ja meist auch noch die Zeit, sich gemeinsam mit dem behandelnden Arzt und den Angehörigen dazu zu beraten, was ich jetzt noch an medizinischen Maßnahmen wünsche und was auch nicht. Wir dürfen das nicht unterschätzen. Obwohl die Therapieergebnisse bei einer längerfristigen künstlichen Beatmung nicht alle gleich gut sind und die Behandlung in manchen Fällen sogar schwere Folgen hat: Bei Covid 19 stellt sich ja gerade die Hoffnung, dass die Erkrankung ausheilt, dass der Körper das Virus bewältigt. Und da lautet die oberste Regel schon, dass man erst einmal alles macht, was gut begründet Heilung verspricht.

Herzerforscher-Magazin: Ist es vor diesem Hintergrund für einen Risikopatienten sinnvoll, sich im Vorfeld einer möglichen Erkrankung mit einem spezialisierten EMAH-Kardiologen zu so einer Patientenverfügung auszutauschen?

Gerhard-Paul Diller: Auf jeden Fall, ja. Gerade auch, wenn man noch Informationsbedarf hat: Was hat meine Krankheit für einen Einfluss auf mein weiteres Leben, auf die Lebensqualität, auf die Lebenszeit? In so einem Kontext lässt sich dann auch gut besprechen, was bei einer Covid 19-Erkrankung gegebenenfalls auf die oder den Patienten zukommen kann.

Herzerforscher-Magazin: In Deutschland gibt es rund 300.000 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, die im Durchschnitt deutlich jünger als 60 Jahre sind. Weiß man, wie viele von ihnen zu den Hochrisikogruppen zählen, weil sie etwa einen schweren angeborenen Herzfehler mit Lungenbeteiligung haben? Und ist die Frage mit der Lungenbeteiligung so überhaupt „richtig“ gestellt, weil ja auch beobachtet worden ist, dass das Virus Herzmuskelentzündungen auslöst, die Blutgerinnung beeinträchtigt und zu Multiorganversagen führt?

Gerhard-Paul Diller: Da geht es um die Risikostratifizierung der Patienten und da spielen viele Faktoren zusammen: Die Anatomie des Herzfehlers, wenn Sie so wollen, ist ein Faktor. Und dann kommen weitere Faktoren hinzu, die Sie auch angesprochen haben, also eine Lungenbeteiligung, Lungenhochdruck zum Beispiel, oder auch eine Herzinsuffizienz, vielleicht noch Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen oder auch zusätzliche Immundefekte. Um diese Frage differenziert beantworten zu können, benötigen wir ein Gesamtbild, das sich aus diesen einzelnen Faktoren und ihrem jeweiligen Zusammenwirken zusammensetzt. Und dazu ist die Datenlage momentan noch zu dünn. Es gibt zwei Register, die jetzt Daten dazu sammeln, eines in den USA und eines in Europa. Auch die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie sammelt Daten zu den Krankheitsverläufen von Covid 19 erkrankten Kindern. Da gibt es zwar erste Erkenntnisse, aber da ist es noch zu früh, sich dazu zu äußern.

Herzerforscher-Magazin: Woran orientiert man sich da jetzt?

Gerhard-Paul Diller: Wir haben natürlich diverse Studien zunächst aus China, dann aus Italien und, nachdem die Pandemie weiter fortschreitet, inzwischen auch aus den USA gesehen. Betroffen waren demnach in der Regel ältere Personen, deutlich über 60 Jahre mit so genannten erworbenen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Diabetes. Demgegenüber haben wir zu Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern derzeit nur ein paar erste Daten aus Norditalien. Dort haben EMAH-Kardiologen telefonisch circa 600 Patienten befragt, und bei dieser Patientengruppe wurde auch kein tödlicher Verlauf identifiziert, der auf Covid 19 zurückzuführen war. Dass das ausgerechnet in dieser schwer betroffenen Region nicht der Fall war, stimmt einen zwar zuversichtlich. Trotzdem müssen wir sehr vorsichtig damit sein.

Herzerforscher-Magazin: Warum?

Gerhard-Paul Diller:  Wir müssen davon ausgehen, dass sich wegen des Shutdowns viele Patienten gar nicht erst infiziert haben und es deshalb keine schweren Verläufe gab. Wir haben noch keine Antikörpertests, um das zu prüfen. Es basiert also vieles auf hypothetischen Annahmen. Aber es ist schon so, dass Patienten mit schweren angeborenen Herzfehlern, die einen Lungenhochdruck, die eine Zyanose haben, zu den Hochrisikopatienten gehören. Da muss man wirklich ganz besonders gut aufpassen. Und daneben gibt es eine beträchtliche Zahl von Patienten mit angeborenen Herzfehlern, die sehr gut operiert sind, die eine normale körperliche Leistungsfähigkeit haben, die auch sportlich sehr aktiv sind. Deren Risiko ist mutmaßlich nicht so hoch. Aber gut vor einer Ansteckung schützen sollten sich natürlich trotzdem alle.

Herzerforscher-Magazin: Inzwischen kennen sicherlich die meisten Patientinnen und Patienten die empfohlenen Schutz- und Hygienemaßnahmen. Abstand halten, Händewaschen und Händedesinfektion, Hustenetikette. Das hat sich einigermaßen eingeprägt. Jetzt haben wir in vielen Bereichen Lockerungen. Frau Niggemeyer hatte das vorhin angesprochen: Wie können sich EMAHs jetzt überhaupt noch schützen? Wie sieht das trotz Abstand und Mund-Nasen-Schutz aus mit der Rückkehr an den Arbeitsplatz, der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs oder auch beim Frisör oder beim Einkauf?

Gerhard-Paul Diller: Die allgemeinen Empfehlungen einzuhalten, das bleibt natürlich weiterhin sehr wichtig. Die speziellen Empfehlungen zu Arbeit, Isolation, Schulbesuch müssen aber sicher individuell getroffen werden. Wir arbeiten aktuell mit der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie an einem Positionspapier, das solche Empfehlungen dann hoffentlich auf eine breitere Basis stellt. Momentan raten wir in Münster besonders gefährdeten Patienten, die beispielsweise ein Einkammerherz haben oder eine schwere Pulmonale Hypertonie, nach Möglichkeit von zu Hause zu arbeiten und keinen oder möglichst wenig Publikumsverkehr zu haben. Aber das ist immer auch eine Einzelfallentscheidung. Das darf keine Einbahnstraße sein, denn das hat ja auch schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen.

Herzerforscher-Magazin: Gibt es aus ihrer Sicht Arbeitsplätze, die besonders heikel sind?

Gerhard-Paul Diller: Besonders kritisch sehen wir, wenn eine Patientin oder ein Patient zum Beispiel als Erzieherin oder Erzieher mit Kindern arbeitet, weil sich Kinder nicht so konsequent an die Abstands- und Hygienemaßnahmen halten können. Da ist natürlich mit einem höheren Ansteckungsrisiko zu rechnen, als wenn man mit Erwachsenen in einem Büro arbeitet. Nur, solche Empfehlungen müssen individuell zugeschnitten auf die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten getroffen werden. Denn sie sind wie gesagt mit erheblichen Konsequenzen auch für die Lebensqualität verbunden.

Herzerforscher-Magazin: Das zeigt uns allen glaube ich sehr anschaulich, wie schwierig es auch für die Ärzte ist, das abzuschätzen und entsprechend abzuwägen. Die Lebensqualität ist ja ein ganz zentraler Punkt. Frau Niggemeyer, was bedeutet das für Ihre Lebensqualität, sich hier entsprechend wappnen zu müssen?

Eva Niggemeyer: Was ich tatsächlich am Schlimmsten finde, ist dieser totale Verzicht auf soziale Kontakte, auch im Sinne von mal eine Umarmung oder so. Das geht mir sehr ab. Ich bin ein sehr sozialer Mensch und da merke ich, das vermisse ich sehr. Und natürlich fehlt mir, mich draußen frei bewegen zu können. Da unterscheide ich mich sicher nicht von gesunden Leuten. Nur bin ich natürlich im schlimmsten Fall diejenige, die wahrscheinlich dann das Nachsehen hat. Auf der einen Seite komme ich mir da oft so vor wie eine übervorsichtige Übertreiberin und auf der anderen Seite denke ich mir, na ja, man wird auch schnell leichtsinnig. Das geht mir ja auch so, dass ich dann denke, das wird schon alles nicht so schlimm sein, und die Medienberichte klingen jetzt ja auch nicht mehr so dramatisch. Die Leute sind fröhlich. Warum denn ich nicht auch.

Herzerforscher-Magazin: Das können sicher alle gut nachvollziehen. Herr Professor Diller, werden solche Einschränkungen unter Umständen zu einer weiteren Gefahr für die Gesundheit, weil sie sich ja doch erheblich auch auf die Lebensqualität auswirken?

Gerhard-Paul Diller: Da muss man durchaus kritisch hinsehen. Es gibt dabei eine psychologische und auch eine medizinische Komponente. Ein Beispiel: Viele Patienten warten derzeit damit, zum Arzt zu gehen. Da ist meine Sorge, dass wir die Entwicklung einer Verschlechterung verpassen, der wir mit gezielten Maßnahmen vorbeugen können. Hinzu kommen gerade in der Isolation auch Faktoren wie Gewichtszunahme und mangelnde Bewegung. Das wirkt sich alles nachteilig aus auf die Lebensqualität. Wir haben am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler gerade eine Umfrage zu diesen Aspekten durchgeführt. Da haben sich viele Patienten beteiligt. Die befindet sich gerade in der Auswertung. Aber es zeichnet sich schon jetzt ab, dass da große Unsicherheiten und auch Informationsdefizite bestehen. Da müssen wir uns natürlich zum Teil auch an die eigene Nase fassen. Wir hätten vielleicht noch schneller kommunizieren sollen. Aber das Problem ist eben, wir haben keine belastbaren Daten, um dieses berechtigte Informationsbedürfnis befriedigen zu können. Und es ist ja auch für uns das erste Mal, dass wir eine Pandemie mit einem neuartigen Virus erleben. Das ist für alle eine ungewohnte Situation.

Herzerforscher-Magazin: „Wird zu einseitig an ältere Patienten mit Vorerkrankungen gedacht?“ © Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
Herzerforscher-Magazin: „Wird zu einseitig an ältere Patienten mit Vorerkrankungen gedacht?“

Herzerforscher-Magazin: Wird insgesamt in dieser ungewohnten Situation, auch bei den Lockerungen, in der gesamtgesellschaftlichen Debatte, aber auch in den Berater- und Entscheiderkreisen, zu einseitig an die älteren Patienten mit Vorerkrankungen und zu wenig an Menschen, auch jüngere Menschen, mit selteneren angeborenen Erkrankungen gedacht?

Gerhard-Paul Diller: Ja. Das ist aus meiner Warte heraus sicher wohlfeil, das so festzustellen. Aber das ist schon so. Das ist natürlich auch den Daten geschuldet, die da anfangs kommuniziert worden sind und die zeigen, dass vor allem deutlich ältere Menschen mit erworbenen Vorerkrankungen gefährdet sind. Die chronisch kranken erwachsenen Patienten, auch die Kinder mit angeborenen Herzfehlern und seltenen chronischen Erkrankungen, bei denen jetzt große Sorgen bestehen, werden da leicht vergessen. Dabei ist die Situation für sie oft schwieriger als für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im Ruhestand sind. Unsere Patienten, das sehen wir ja in den täglichen Gesprächen, stehen ja am Anfang oder in der Mitte ihres Berufslebens und müssen sich viel mehr in der Gesellschaft bewegen. Die können sich nicht so ohne weiteres zuhause isolieren.

Herzerforscher-Magazin: Frau Niggemeyer, was wünschen Sie sich da jetzt am meisten als Risikopatientin, gerade auch von Ihrem Umfeld?

Eva Niggemeyer: Also von meinem persönlichen Umfeld kann ich mir gar nicht mehr wünschen, weil hier alle super damit umgehen. Ich kriege hier wirklich ganz viel Unterstützung von allen Seiten. Und das finde ich tatsächlich auch sehr bereichernd. Und von meinem weiteren Umfeld da wünsche ich mir, dass die Leute irgendwo im Hinterkopf haben, dass es ja nicht nur um sie geht bei den ganzen Regelungen, sondern dass es darum geht, auch andere zu schützen. Und dann kann man finde ich sich diese Community Maske auch mal über die Nase ziehen und nicht nur über den Mund. Das mache ich ja auch. Ich kriege dann zwar auch schlechter Luft, aber es funktioniert. Also ich wünsche mir generell diese Woge der Solidarität, die am Anfang zu spüren war. Das darf gerne so bleiben!

Herzerforscher-Magazin: Gibt es aus Ihrer Sicht noch eine Frage, die wir Herrn Professor Diller dringend stellen sollten?

Eva Niggemeyer: Also ich bin ziemlich zufrieden. Soweit man das in so einer Situation sein kann. Es ist halt einfach schwer. Ich glaube, was uns Patienten alle verunsichert ist, dass wir da letztendlich vieles für uns selbst entscheiden müssen, weil uns jetzt bei vielen Dingen noch niemand genau sagen kann, was richtig und was falsch ist. Das ist, wenn es ums eigene Leben geht, schon eine schwere Bürde. Da kann man dann aber nur einfach bei sich selber gucken. Das kann einem keiner abnehmen.

Herzerforscher-Magazin: Das kann man glaube ich nur so stehen lassen. Frau Niggemeyer, Herr Professor Diller, wir danken Ihnen für das Gespräch. Bleiben Sie gesund und zuversichtlich!

Das Gespräch wurde am 08. Mai 2020 geführt.


Das könnte Sie auch interessieren:


Diese Seite teilen per ...