Daumen hoch! EMAH-Kardiologin Tanja Rädle-Hurst ist zufrieden mit dem Befund ihres Patienten., Wolfram Scheible für Nationales Register © Wolfram Scheible für Nationales Register

Herzerforscher-Magazin | Arzttermin

Einmal komplett umdenken!

Im Interview: EMAH-Professorin Tanja Rädle-Hurst

Tanja Rädle-Hurst behandelt seit mehr als zehn Jahren Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Als erste Medizinerin in Deutschland habilitierte sie sich auf diesem Forschungsgebiet. Es ist ein Anfang. Das Fachgebiet ist noch jung. Und für immer mehr Menschen in Deutschland wird es wichtig. Wir haben die Kardiologin in ihrer EMAH-Sprechstunde besucht.

Homburg, Universitätsklinikum des Saarlandes, Kinderkardiologie. In dem bunten Klinikflur vor dem Sprechzimmer von Tanja Rädle-Hurst herrscht Hochbetrieb. Eltern warten hier mit ihren herzkranken Säuglingen und Kindern auf die Untersuchung nach oder vor einer OP. Dazwischen sitzen Patienten, die das längst erfolgreich hinter sich haben: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern.

Für die Routineuntersuchung bei der EMAH-Kardiologin legen manche Patienten mehrere hundert Kilometer zurück. Tanja Rädle-Hurst nimmt sich für jeden Zeit. Herzlich hat sie gerade ihren letzten Patienten für heute verabschiedet. Sie hat den Monitor ihres Ultraschallgeräts ausgeschaltet und rasch noch ein paar Daten in den Rechner eingegeben. Jetzt sitzt sie vor uns auf ihrem Arzthocker im Behandlungszimmer.

Tanja Rädle-Hurst ist eine der ersten EMAH-Professorinnen in Deutschland. © Wolfram Scheible für Nationales Register
Tanja Rädle-Hurst ist eine der ersten EMAH-Professorinnen in Deutschland.

Herzerforscher-Redaktion: Wie war Ihr Tag, Frau Dr. Rädle-Hurst?

Tanja Rädle-Hurst: Voll und schön! Den Patienten heute ging es allen gut. Da macht das Arbeiten Spaß.

Herzerforscher-Redaktion: Sie sind EMAH-Kardiologin. Wie wird man das?

Tanja Rädle-Hurst:  Ich habe zunächst eine konventionelle Facharzt-Ausbildung als Internistin und Erwachsenenkardiologin am Gießener Universitätsklinikum durchlaufen. Schon damals habe ich erwachsene Patienten mit angeborenen Herzfehlern betreut. Das Thema hat mich immer sehr interessiert. Und just als ich aus familiären Gründen nach Homburg umziehen musste, suchte die Kinderkardiologie der Universität des Saarlandes ärztliche Mitarbeiter zur Facharztweiterbildung. Ein glücklicher Zufall. Da habe ich dann sofort auf der Matte gestanden und gefragt, ob ich hier als Kardiologin auch eine EMAH-Weiterbildung absolvieren darf.

Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern werden heute immer älter.

Herzerforscher-Redaktion: So ein Quereinstieg als Kardiologin in die Kinderkardiologie klingt ungewöhnlich, wie war die Reaktion?

Tanja Rädle-Hurst: Sie haben Recht, das ist ein ungewöhnlicher Weg. Bei den Kinderkardiologen in Homburg stieß das aber sofort auf Begeisterung. Glücklicherweise erreichen heutzutage immer mehr Kinder mit angeborenen Herzfehlern das Erwachsenenalter und auch Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern werden heute immer älter. Das bedeutet natürlich, dass sie auch typische Erwachsenenkrankheiten entwickeln können, wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes, Herzschwäche, eine Verschlechterung der Nierenfunktion oder Leberprobleme, zu denen etwa Fontan-Patienten neigen – da kenne ich mich dann aufgrund meiner internistischen Facharztausbildung gut aus. Die Kinderärzte kennen sich gut mit den speziellen Herzfehlern aus, aber weniger mit den Erwachsenenkrankheiten. Der Austausch zwischen den einzelnen medizinischen Fachgebieten ist darum ungeheuer wichtig geworden.

Mit angeborenen Herzfehlern waren wir bislang nicht konfrontiert.

Herzerforscher-Redaktion: Als Kardiologin wissen Sie über erworbene Herzfehler Bescheid, kam Ihnen das entgegen?

Tanja Rädle-Hurst: Nur bedingt. Ich musste wirklich komplett umdenken. Aber gerade das fand ich spannend. Bei angeborenen Herzfehlern bekommt man es plötzlich mit ganz anderen, teilweise hoch komplexen, anatomischen Strukturen und einer vollkommen anderen Hämodynamik zu tun. Das bedeutet, der Blutfluss in den Gefäßen und alles, was die Strömungsmechanik beeinflusst, entwickelt sich bei einer angeborenen Fehlbildung anders als bei Menschen mit erworbenen Herzerkrankungen, die wir „Erwachsenen-Kardiologen“ gut kennen und beurteilen können. Und mit solchen Herzfehlern waren wir während unserer Facharztausbildung ja bislang nicht konfrontiert.

Herzerforscher-Redaktion: Wie groß ist die Umstellung im Hinblick auf Diagnostik und Therapie?

Tanja Rädle-Hurst: Mir war schon im Vorfeld klar, dass ich da wirklich richtig an Wissen draufsatteln musste. Deshalb habe ich auch von Anfang an geforscht und im Rahmen klinischer Studien verschiedene Biomarker bei meinen Patienten untersucht. Bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern sind beispielsweise die Schwellenwerte in der Diagnostik andere, als wir sie aus der Erwachsenenkardiologie gewohnt sind. Wir müssen uns in vielen Bereichen an die noch unbekannte Patientengruppe herantasten.

Man muss schon darauf trainiert sein, damit das für den Patienten in die richtige Richtung läuft.

Herzerforscher-Redaktion: Worauf kommt es da an?

Tanja Rädle-Hurst:  Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel anhand der Biomarker. Das sind biologische Substanzen im Blut, die uns dabei helfen, einen Krankheitsverlauf noch besser einschätzen zu können. So eine Substanz ist das Hormon NT-proBNP, das bevorzugt in der linken Herzkammer gebildet wird. Wenn ein Kardiologe bei einem Patienten mit Linksherzschwäche einen NT-proBNP-Wert von 400 sieht, dann kann das vollkommen in Ordnung sein. Handelt es sich jedoch um einen Fontan-Patienten, ist das etwas völlig  anderes. Hier kann so ein Wert auf einen schlechten Fontan-Kreislauf hindeuten. Und unter Umständen steht so ein Patient kurz vor einem Fontanversagen. Deshalb ist es sinnvoll, dass EMAH-qualifizierte Ärzte diese Patienten untersuchen, einfach, weil das so speziell ist, dass man wirklich schon darauf trainiert sein muss, die Befunde richtig einzuschätzen, damit das in die richtige Richtung läuft für den Patienten.

  • Kurz erklärt

    Fontanherzen

    Leben mit einer einzigen Herzkammer

    Es gibt verschiedene angeborene Herzfehler, bei denen das Blut nicht ungehindert durch die Herzklappe in die Lungenschlagader transportiert werden kann, um den Körper mit dem notwendigen Sauerstoff zu versorgen. Oft ist dann auch eine von beiden Herzkammern unzureichend entwickelt. Das bedeutet, dass die funktionstüchtige andere Herzkammer das Blut allein in den Körperkreislauf pumpen muss.

    Woran man das merkt? Wenn beispielsweise die dreizipfelige Segelklappe – die Trikuspidalklappe – zwischen rechtem Vorhof und rechter Herzkammer nicht funktioniert, bekommt der Körper nicht genügend Sauerstoff. Deshalb färben sich Lippen, Zehen- und Fingerspitzen blau. Früher sind viele Kinder an einer solchen  Trikuspidalklappenatresie verstorben. Heute hilft die Herzoperation, die der französische Herzchirurg François M. F. Fontan 1971 speziell für die Trikuspidalklappenatresie entwickelt hatte.

    Bei dem nach ihm benannten, inzwischen weiter verfeinerten Eingriff werden die obere und untere Hohlvene so an die Lungenschlagader angeschlossen, dass das sauerstoffarme Blut direkt in die Lungenschlagader fließen und dort mit Sauerstoff angereichert werden kann. Entscheidend für ein möglichst gutes Leben mit Fehlbildungen der Herzklappen und Herzkammern sind die Früherkennung, die rechtzeitige Fontan-Operation und die lebenslange medizinische Begleitung danach.

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Die Patienten haben kaum Symptome.

Herzerforscher-Redaktion: Was kann der einzelne Patient tun?

Tanja Rädle-Hurst:  Die Patienten sollten sich regelmäßig von einem EMAH-Spezialisten untersuchen lassen. Das ist ganz wichtig, weil sie selbst unter Umständen kaum oder gar keine Beschwerden haben, aber trotzdem relevante Befunde vorliegen.

Herzerforscher-Redaktion: Als Patient merke ich nicht, wenn sich etwas an meinem Herz verändert?

Tanja Rädle-Hurst: Nicht unbedingt. Ich habe gerade bei Patienten mit korrigierten angeborenen Rechtsherzerkrankungen wie der Fallot-Tetralogie oder Pulmonalatresie in den letzten zehn Jahren oft die Erfahrung gemacht, dass die Patienten gar keine oder kaum Symptome zeigen, obwohl sie gravierende Befunde wie zum Beispiel eine viel zu undichte Pulmonalklappe haben.

Herzerforscher-Redaktion: Die Routineuntersuchung wird dann unter Umständen zur Überlebensfrage?

Tanja Rädle-Hurst: Ja, die Patienten müssen kontinuierlich überwacht und nachversorgt werden, da die Herzkammern langfristig Schaden nehmen können, wenn Rest-Befunde wie eine stark undichte Pulmonalklappe nicht rechtzeitig behoben werden. Im Ultraschall, im Kardio-MRT oder an den Laborwerten können wir sofort erkennen, wenn sich etwas zu verschlechtern droht. Und eine Herzschwäche, also die Verschlechterung der Pumpleistung des Herzens, sollte schließlich mit allen Mitteln verhindert werden.

Dass es immer noch zu spät entdeckte Herzfehler gibt, frustriert mich bis heute.

Herzerforscher-Redaktion: Gibt es etwas, dass Sie als Erwachsenenkardiologin während Ihrer EMAH-Ausbildung überrascht hat?

Tanja Rädle-Hurst: Als ich hier begonnen habe, wurde mir erst so richtig klar, was für eine große Rolle der Operateur im Kindesalter spielt. Rechtzeitig und gut operiert im Kindesalter, das bedeutet eine gute Prognose und einen guten Verlauf. Mich betrübt, dass es immer noch Patientinnen und Patienten mit nicht korrigierten Herzfehlern gibt, die eigentlich im Kindesalter hätten operiert werden müssen. Sie haben eine deutlich schlechtere Lebensqualität und Prognose. Das frustriert mich bis heute, aber leider erleben wir solche Schicksale noch immer. Und da hätte ich gedacht, dass wir in diesem fortschrittlichen Zeitalter längst weiter sind.

Für diese besondere Patientengruppe muss weiterhin ganz intensiv geforscht werden.

Herzerforscher-Redaktion:  Gefördert von der Deutschen Herzstiftung sind Sie inzwischen eine der ersten EMAH-Professorinnen in Deutschland. Wie geht es weiter? 

Tanja Rädle-Hurst:  Mir ist vor allem wichtig, das Thema universitär zu etablieren und dafür zu sorgen, dass für diese besondere Patientengruppe weiterhin ganz intensiv wissenschaftliche Forschung stattfindet. Das ist mein großes Anliegen.

Ein einziges Zentrum hat zu wenige Daten für die Forschung.

Herzerforscher-Redaktion: Welche Rolle spielt dabei aus Ihrer Sicht das Kompetenznetz mit dem Nationalen Register?

Tanja Rädle-Hurst:  Eine ganz entscheidende Rolle. Denn ein einziges Zentrum hat natürlich nur wenige Patienten und entsprechend wenige Daten zur Verfügung. Und je mehr Daten man hat, desto besser lassen sich auch irgendwelche Trends erkennen. Das Kompetenznetz mit dem Register ist sehr wichtig für uns, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und die Patienten dann auch gut behandeln zu können. Zum Beispiel wissen wir heute aufgrund der Registerdaten, dass Patienten, deren Herzfehler schon im frühen Kindesalter korrigiert wurde, eine deutlich bessere Prognose haben.

Dass wir interdisziplinär alle gut zusammenarbeiten, ist das A und O.

Herzerforscher-Redaktion: Wie mündet so ein Forschungsergebnis aus dem Kompetenznetz in die Versorgung?

Tanja Rädle-Hurst:  Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir interdisziplinär alle gut zusammenarbeiten. Das ist das A und das O, um unseren Patienten helfen zu können. Die pädiatrischen Kollegen müssen natürlich im Kindesalter die richtige Diagnose stellen und mir den Patienten dann auch rechtzeitig zuweisen, damit ich sie oder ihn im Erwachsenenalter gut weiter behandeln kann. Wir wollen die Patienten ins hohe Lebensalter bekommen, und zwar gut ins hohe Lebensalter bekommen. Dafür ist die Forschung so wichtig. Und da finde ich sehr schön, dass so viele beim Register mitmachen und dazu beizutragen, dass wir Ärzte dazu lernen und unser neues Wissen dann auch praktisch anwenden können.

Herzerforscher-Redaktion: Frau Professor Dr. Rädle-Hurst, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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