Der Humangenetiker Marc-Phillip Hitz forscht mit Proben des Nationalen Registers., Wolfram Scheible für Nationales Register © Wolfram Scheible für Nationales Register

Herzerforscher-Magazin | Forschergespräch

Forschen für den Therapiefortschritt

Im Interview: Der Humangenetiker Marc-Phillip Hitz

Es ist gar nicht so einfach, sich mit Marc-Phillip Hitz zum Interview zu verabreden. Der Kinderarzt, Humangenetiker und Vater von vier Kindern pendelt zwischen zwei Forschungsinstitutionen, zwischen Klinik und Wissenschaft, zwischen Cambridge und Kiel und seiner Heimatstadt.

Eigentlich hat er immer beides werden wollen, sagt der gebürtige Hamburger: Kinderarzt und Forscher. Weil er kranken Kindern und ihren Eltern sehr grundlegend helfen wollte, landete er nach einem Ausflug in das Studium der Biologie in der Humanmedizin und von dort aus in der Humangenetik. 2016 gelang ihm und seinem Team ein Durchbruch in der Erforschung der Ursachen angeborener Herzfehler. Ohne das Nationale Register wäre das nicht möglich gewesen. Wir sind neugierig zu erfahren, wie es jetzt auf dieser Grundlage weitergeht und haben ihn tatsächlich erreicht. Natürlich unterwegs.

Herzerforscher-Redaktion: Guten Tag, Herr Professor Dr. Hitz, wie schön, dass es klappt mit unserem Telefonat. Wo erwischen wir Sie gerade?

Marc-Phillip Hitz: Ich komme gerade aus dem Kieler Labor. Wir haben dort heute Morgen unsere Projekte besprochen. Und jetzt bin ich auf dem Sprung zu einer Veranstaltung. Aber kein Problem. Wir können uns vorher ein wenig unterhalten.

Herzerforscher-Redaktion: Woran arbeiten Sie zurzeit?

Marc-Phillip Hitz: Neben der klinisch-diagnostischen Sequenzierung für Patienten, erforschen wir in Kiel, welche Gene bei angeborenen Herzfehlern im Spiel sind und welche Genveränderungen bei Patienten mit schweren angeborenen Herzfehlern häufiger sind. Anschließend überprüfen wir, was diese Gene in einem geeigneten Zellsystem, beim Zebrafisch oder bei Mäusen bewirken, um so herauszufinden, ob sie tatsächlich ursächlich für das Auftreten eines angeborenen Herzfehlers im Menschen sind. 

Im Forschergespräch: Prof. Dr. med. Marc-Phillip Hitz, Humangenetiker © DZHK
Im Forschergespräch: Prof. Dr. med. Marc-Phillip Hitz, Humangenetiker

Wir wissen erst einmal nur, dass bestimmte Gene mit einem bestimmten angeborenen Herzfehler assoziiert sind.

Herzerforscher-Redaktion: Wie maßgeblich ist in diesem Zusammenhang das Forschungsergebnis, das Sie in Kooperation mit dem Wellcome Trust Sanger Institute erzielen konnten? Sie haben vor ein paar Jahren drei neue Gene entdeckt, die an der Entstehung komplexer Herzfehler mitwirken.

Marc-Phillip Hitz:  Richtig, das war der erste Teil. Die Identifizierung der Gene ist die Grundlage. Und jetzt untersuchen wir im Tier- und im Zellmodell genauer, wie und warum diese Gene zu angeborenen Herzfehlern führen. Das ist noch nicht hinreichend beantwortet. Wir wissen erst einmal nur, dass bestimmte Gene mit einem angeborenen Herzfehler assoziiert sind.

Herzerforscher-Redaktion: Welche Rolle spielt das Nationale Register für angeborene Herzfehler für solche Forschungsergebnisse?

Marc-Phillip Hitz: Einige der verlässlichsten Anhaltspunkte für krankheitsverursachende Gene gehen auf die genetische Ursachenforschung in großen Patientenkohorten zurück. Ohne eine solche Basis an verlässlichen und vergleichbaren Daten und Proben von Patienten und ihren Angehörigen könnten wir solche Studien überhaupt nicht durchführen. Die deutsche Kohorte ist eine der größten weltweit und insofern von großer Bedeutung. Zudem ist das Nationale Register eines der wenigen Register, das das gesamte Spektrum der angeborenen Herzfehler und der Herzerkrankungen im Kindes- und Jugendalter umfasst. Mit unserer Studie haben wir am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler allerdings auch zum ersten Mal so ein großes Genom-Forschungsprojekt durchgeführt. Wir lernen immer noch dazu.

Wir könnten die Validität unserer Ergebnisse noch rascher auf klinische Füße stellen und die Therapie entsprechend verbessern.

Herzerforscher-Redaktion: Inwiefern genau? Was sollte verbessert werden?

Marc-Phillip Hitz: Im Moment werden die Daten am Nationalen Register ja ausschließlich zu Forschungsfragen gewonnen. Dabei stößt man auch auf Veränderungen, die für die einzelnen Patienten eine klinische Bedeutung haben. Wenn wir beispielsweise Veränderungen entdecken, die mit Kardiomyopathien, also Herzmuskelerkrankungen, in Zusammenhang gebracht werden, sollten wir diese Ergebnisse zurückspiegeln können. Sie haben ja entscheidende Konsequenzen für die Patienten und ihre Familien. Die benötigen dann eine intensivierte Überwachung. Auch lässt sich eventuell medikamentös eingreifen.

Herzerforscher-Redaktion: Das Nationale Register fragt teilnehmende Patienten und Angehörige aus diesem Grund mit der „Patientenaufklärung“ nach ihrem Einverständnis für eine Rückmeldung in einem solchen Fall. Reicht das aus? Oder sollte eine klinisch-diagnostische Auswertung Ihrer Meinung nach systematischer parallel zu der genetischen Forschung erfolgen?

Marc-Phillip Hitz: Also, unsere Forschung muss erst einmal isoliert betrachtet werden. Es ist in der Tat aber notwendig, eine engere Verknüpfung zwischen Forschung und Diagnostik herzustellen. Das sollte jedoch erst dann erfolgen, wenn die Veränderungen im Genom auch klinisch relevant sind – also bereits in anderen Kohorten oder bei Patienten als ursächlich beschrieben sind. Ansonsten sollten Untersuchungen im Zell- oder Tiermodell klären, ob ein ursächlicher Zusammenhang gegeben ist. In einem zweiten Schritt wäre diese Untersuchung dann unter klinisch diagnostischen Gesichtspunkten zu wiederholen, um valide Resultate für eine Überführung in die klinische Praxis liefern zu können.

Herzerforscher-Redaktion: Und dieser Translationsprozess von der Forschung in die Praxis ließe sich beschleunigen?

Marc-Phillip Hitz: Ja, wenn wir parallel zur Sequenzierung im klinisch-diagnostischen Rahmen zeitnah die Veränderungen in der Familie nachverfolgen durch eine sogenannte Segregationanalyse. Außerdem würde uns eine schnellere Verknüpfung mit den klinischen und bildgebenden Verfahren auch erlauben, Hinweise aus den Krankheitsverläufen zu gewinnen, die man im klinisch-diagnostischen Rahmen genauer nachverfolgen sollte. Das wäre ideal. Damit ließe sich die Validität unserer Ergebnisse rascher auf klinische Füße stellen und die Therapie entsprechend verbessern.

Nur dann können wir herausfinden, was in Zukunft der beste Weg für die Betroffenen ist.

Herzerforscher-Redaktion: Ihr Forschungsergebnis zu den drei Genen bietet zumindest wichtige neue Anhaltspunkte für die Diagnostik.

Marc-Phillip Hitz: Richtig. Wir haben bei Patienten mit komplexen angeborenen Herzfehlern veränderte Gene gefunden. Im nächsten Schritt haben wir uns angeschaut, ob diese Veränderungen bereits bei den Eltern auftreten oder ob es sich wirklich um eine Neumutation handelt, um mit dieser Segregation klar nachzuweisen, dass nur diejenigen, die so eine Veränderung tragen, auch dieses spezifische Krankheitsbild haben. Und wenn sich das wie in diesem Fall bestätigt, dann gehen solche Entdeckungen relativ schnell in die Diagnostik über, also vor allem in die humangenetische Diagnostik. Und nachdem sie dort unter klinisch diagnostischen Gesichtspunkten nochmals überprüft worden sind, können sie dann in die klinische Routine übernommen werden. Das heißt, erst dann werden sie unter klinisch diagnostischen Gesichtspunkten den Patienten zur Verfügung gestellt.

Herzerforscher-Redaktion:  Wie häufig sind solche schweren angeborenen Herzfehlbildungen, die auf Neumutationen zurückzuführen sind?

Marc-Phillip Hitz: Wir sprechen hier von bestimmten syndromalen Herzfehlern. Diese Erkrankungen treten sehr selten auf, insgesamt betreffen die syndromalen Herzfehler jedoch ungefähr 15 bis 20 Prozent der Kinder mit angeborenen Herzfehlern. Von speziellen Veränderungen allein in den neu identifizierten Genen waren in unserer initial untersuchten großen Kohorte von 2.000 Patienten, je nach Gen, zwischen drei bis sieben Patienten betroffen. Die neu identifizierten Gene sind also nur bei weit unter einem Prozent zu finden. Mutationen in bekannten und bisher nicht-bekannten Genen, von denen angenommen wird, dass sie einen Herzfehler verursachen, tragen aber auch die anderen Patienten. Sie können sich also vorstellen, wie wichtig solche Register sind, denn wir brauchen für aussagefähige Ergebnisse natürlich viele verschiedene Patienten mit einer solchen Genveränderung. Nur dann können wir herausfinden, was therapeutisch in Zukunft der beste Weg für die Betroffenen ist. Und das ist ja, was wir gerne noch viel stärker ermöglichen möchten. Wir brauchen solche Studien, um die Patienten zu unterstützen durch eine gute Diagnosefindung.

Für eine ethikkonforme, unabhängige Forschung mit überprüfbaren Ergebnissen bietet das Kompetenznetz ideale Voraussetzungen.

Herzerforscher-Redaktion: Gerade dafür ist vermutlich die staatliche Forschungsförderung sehr wichtig, auch unter ethischen Gesichtspunkten?

Marc-Phillip Hitz: Definitiv, ja. Länder wie die USA haben uns da einiges voraus. Und da sprechen wir nicht nur von den privaten Mittelzuwendungen, die in den angelsächsischen Ländern etablierter sind, sondern eben gerade auch von staatlichen Programmen. Das gilt auch für England. Bei der genetischen Forschung hat Deutschland grundsätzlich einen erheblichen Nachholbedarf. Das sieht man auch, wenn man sich die Literatur anschaut. Was die Durchführung großer genetischer Studien anbelangt, ist Deutschland kein Vorreiter. Es gibt Projekte, die das jetzt verstärkt angehen, wie etwa im Deutschen Zentrum für Herz- und Kreislaufforschung. In den meisten Fällen steht dabei jedoch die translationale Forschung im Vordergrund. Die aber ist auf grundlegende Erkenntnisse zu den genetischen Vorgängen angewiesen. Und für deren Erforschung bietet das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler ideale Voraussetzungen, weil es im Verbund aus Patienten, Ärzten und Wissenschaftlern eine ethikkonforme, unabhängige Forschung mit überprüfbaren Ergebnissen ermöglicht.

Herzerforscher-Redaktion: Müsste dann nicht auch in diese Verbundstruktur stärker investiert werden, in den Forschungsservice und die Daten- und Probenbasis am Nationalen Register?

Marc-Phillip Hitz: Das müsste deutlich intensiver gemacht werden. Man muss dazu aus Sicht der Humangenetiker ergänzen, dass die modernen Next Generation-Sequenzierverfahren, auf deren Grundlage wir heute viele neue, wichtige Erkenntnisse gewinnen, mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden sind. Ohne genügend Proben kommen wir hier nicht zu Ergebnissen, die das rechtfertigen. Und es ist ja nicht so, dass die Daten, die im Register vorhanden sind, nur für Patienten mit angeborenen Herzfehlern verwendet werden können. Im Gegenteil. Ich halte für durchaus denkbar, dass diese Daten sinnvoller Weise auch die Datenbasis für Sequenzierungen in anderen Forschungsgebieten ergänzen können, um künftig eine individualisierte Medizin zu bewerkstelligen, etwa in den Neurowissenschaften, aber auch in der Krebsforschung. Da gibt es Synergiepotenziale, die wir in Deutschland noch zu wenig ausschöpfen, sicher auch, weil unsere föderale Struktur das erschwert.

Gerade hier kann die Erforschung angeborener Herzfehler ein Tor öffnen.

Herzerforscher-Redaktion: Sie sprechen von Synergiepotenzialen. Wie schätzen Sie das ein, wenn man das allein für den Bereich der Herzerkrankungen betrachtet? Wie sieht es aus mit der Erforschung von Mechanismen, die die Regeneration des Herzens fördern: Hätte man dadurch auch einen anderen therapeutischen Zugang etwa bei erworbenen Herzerkrankungen?

Marc-Phillip Hitz: Das ist sogar ein wesentlicher Aspekt. Gerade hier kann insbesondere die Erforschung angeborener Herzfehler ein Tor öffnen, denn ein wichtiger Teilaspekt unserer Forschung geht ja der Frage nach, wie ein Herz entsteht, wie es sich entwickelt. Dies wird insbesondere auch bei der Forschung mit IPS-Zellen, also den induzierten pluripotenten Stammzellen genutzt, um kardiale Zellen herzustellen. Bei dieser Forschung werden die Herzentwicklungsprogramme genutzt, um die Differenzierung in die entsprechenden kardialen Zelltypen einzuleiten. Das spielt dann auch bei der Regeneration eine wichtige Rolle, da es erlaubt, unterschiedliche kardiale Zellen im Labor herzustellen oder im lebenden Organismus einzuleiten, um in Regenerations- und auch Degenerationsprozesse einzugreifen.

Herzerforscher-Redaktion: Wie weit ist die Forschung da heute?

Marc-Phillip Hitz: Es gibt Ergebnisse, die auf ein großes therapeutisches Potenzial hindeuten, also darauf, dass es künftig möglich werden könnte, Herzgewebe zu retten oder zu erneuern. Die Ergebnisse helfen, die Regeneration von Herzzellen besser zu verstehen. Wann und wie das tatsächlich therapeutisch anwendbar ist, lässt sich jedoch noch nicht sagen. Dazu ist es sicherlich sinnvoll, zunächst die Mechanismen der Herzbildung, auch der Herzfehlbildung, noch viel genauer zu verstehen und diese dann sowohl im Tiermodell als auch im Zellmodell in vivo „nachzuspielen“. Fest steht, dass das einer der spannendsten Aspekte auch für die adulte Kardiologie ist. Wenn uns das eines Tages dazu in die Lage versetzte, etwa Kardiomyozyten sich regenerieren zu lassen, dann dürfte das ein entscheidender Durchbruch für die Herzgesundheit sehr vieler Menschen sein.

Ärzte müssen sich intensiv auch der Forschung widmen können.

Herzerforscher-Redaktion: Der Forschungsverbund Kompetenznetz greift das Thema von sehr unterschiedlichen Seiten an. Neben Ihrer Forschung gibt es Projekte wie zum Beispiel die NEOMY-Studie, die zu den Mechanismen der MicroRNA im Myokard forscht, um Regenerationsprozessen im Herz von Neugeborenen und Säuglingen auf die Spur zu kommen. Inwieweit schafft man es in diesem Forschungsverbund, sich intensiv miteinander dazu auszutauschen?

Marc-Phillip Hitz: Das geschieht natürlich, das ist auch das Ziel. Auch, sich für die gemeinsame Forschung noch stärker zu vernetzen. Das setzt jedoch entsprechende finanzielle Mittel voraus, und die müssen ja erst einmal eingeworben werden. Das ist nichts, was mal eben nebenher gemacht werden kann. Dazu muss man auch entsprechende Publikationen vorweisen können. Und je weniger Zeit der einzelne Arzt für Forschung hat, desto schwieriger wird das alles. Das ist ein weiterer entscheidender Faktor. Ärzte müssen sich intensiv auch der Forschung widmen zu können. Viele meiner Kollegen unter den Kinderärzten sind dazu gezwungen, ihre Forschung in die Freizeit auszulagern. Das ist in Deutschland der bedauerliche Regelfall. Also, es bleibt noch eine Menge zu tun, um unser gesamtes Potenzial heben zu können und Patienten mit angeborenen Herzfehlern zu einer deutlich besseren Prognose zu verhelfen.

Herzerforscher-Redaktion: Herr Professor Dr. Hitz, das ist ein Stichwort. Wir danken Ihnen für das Gespräch.


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