EMAH-Spezialist Prof. Dr. Dr. med. Gerhard-Paul Diller (rechts im Bild), UKM © UKM

Herzerforscher-Magazin | Forschergespräch

Lohnende Investition

Im Interview: Der EMAH-Spezialist Gerhard-Paul Diller

Der Kardiologe Gerhard-Paul Diller aus Münster zählt zu Deutschlands ausgewiesenen Experten für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Er forscht mit dem Nationalen Register und hat jetzt eine erste Big Data Analyse in Deutschland auf den Weg gebracht. Ziel ist die Verbesserung der Versorgung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern. Wir haben in Berlin am Nationalen Register mit ihm über sein Projekt und die Krux mit der Forschungsförderung gesprochen.

Detektivische Spurensuchen auf naturwissenschaftlicher Grundlage haben ihn schon als Jugendlichen fasziniert. Als er sein Medizinstudium begann, fand er die Vorlesungen der Rechtsmediziner am spannendsten. „Die waren eigentlich für Juristen gedacht, aber da sind wir alle hin. Da gab es einmal im Semester eine öffentliche Sektion, das fanden wir natürlich aufregender als unseren trockenen Erstsemester-Lernstoff“, erzählt er und lacht verschmitzt. Entschieden hat sich Gerhard-Paul Diller schließlich für die Herzmedizin. Nach dem Studium in München verschlug ihn seine klinische Laufbahn ans Londoner Royal Brompton Hospital, eines der weltweit größten Zentren für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Bis heute sein zentrales Fach- und Forschungsgebiet. Der EMAH-Spezialist praktiziert an der Klinik für Angeborene Herzfehler (EMAH) und Klappenerkrankungen des Universitätsklinikums Münster. Mit OptAHF hat Gerhard-Paul Diller jetzt die größte Versorgungsstudie gestartet, die es je zum Thema in Deutschland gegeben hat.

Herzerforscher-Redaktion: Sie kommen gerade aus einer Besprechung mit Kolleginnen und Kollegen des Nationalen Registers zu Ihrer neuen Studie OptAHF. Worum geht es bei diesem Forschungsvorhaben?

Gerhard-Paul Diller: OptAHF steht für die Optimierung der Versorgungssituation von Patienten mit angeborenen Herzfehlern. Wir wollen genauer wissen, wie es um die medizinische Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern in Deutschland steht und was verbessert werden muss. Da geht es nicht bloß um die herzmedizinische Versorgung, sondern tatsächlich um jegliche medizinische Maßnahme. Auch Patienten mit angeborenen Herzfehlern müssen unter Umständen von einem entzündeten Blinddarm befreit werden oder haben andere Erkrankungen, die eines Eingriffs bedürfen. Und da ist die große Frage, inwieweit es notwendig wäre, solche Eingriffe in einer auf angeborene Herzfehler spezialisierten Umgebung vorzunehmen, mit Anästhesisten und Operateuren, die entsprechend ausgebildet und vorbereitet sind.

Internationale Studien lassen beträchtlichen Nachholbedarf vermuten.

Herzerforscher-Redaktion: Sie befürchten, dass die Behandlungsergebnisse bei Patienten, die nicht in einer entsprechend qualifizierten Einrichtung behandelt werden, schlechter ausfallen?

Gerhard-Paul Diller: Wir können das nicht ausschließen. Wir müssen es sogar annehmen. Kanadische Kollegen aus Quebec haben das bereits untersucht und festgestellt, dass Patienten, die nicht an ein EMAH-Zentrum angebunden sind, eine höhere Sterblichkeit haben. Aus den USA gibt es Daten, die belegen, dass sich diese Patienten häufiger als andere mit Komplikationen in der Notaufnahme vorstellen.

Herzerforscher-Redaktion:  Und diese Studienergebnisse reichen nicht aus?

Gerhard-Paul Diller: Wir benötigen dringend eigene Daten. Die Unterschiede zwischen unserem Gesundheitssystem und den Gesundheitssystemen in Kanada und in den USA sind erheblich. In den USA beispielsweise liegt die Vermutung nahe, dass viele Leute auch deshalb in der Notaufnahme landen, weil sie nicht versichert sind und daher praktisch keine reguläre Versorgung haben, die das im Vorfeld verhindert. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Insofern lässt sich das kaum vergleichen. Die internationalen Studien lassen jedoch vermuten, dass es auch bei uns noch beträchtlichen Nachholbedarf gibt.

Im Forschergespräch mit Prof. Dr. Dr. Gerhard-Paul Diller © UKM
Im Forschergespräch mit Prof. Dr. Dr. Gerhard-Paul Diller

Für schwangere Herzpatientinnen kann man inzwischen viel tun. Aber wird das tatsächlich auch flächendeckend gemacht?

Herzerforscher-Redaktion: Inwiefern? Sie sprachen als Beispiel die Blinddarm-OP an. Verfolgen Sie bei ihrer Studie auch den Einsatz herzmedizinischer Behandlungsmethoden für Patienten mit bestimmten angeborenen Herzfehlern?

Gerhard-Paul Diller:  Es ist ja so, über die optimale medizinische Versorgung der Patientengruppe wissen wir noch zu wenig. Die Anzahl der Kinder, die mit der chronischen Grunderkrankung erwachsen werden, wächst seit den siebziger Jahren stetig. Wir sehen bei uns in der Klinik mittlerweile viele Patienten um die vierzig. Das ist eine relativ junge Entwicklung. Im Rahmen unserer Studie interessiert uns daher zum einen die generelle  Versorgung, aber natürlich ganz besonders auch die herzmedizinische Behandlung etwa bei einer angeborenen Aortenisthmusstenose, einer Gefäßverengung. Da werden wir jetzt beispielsweise untersuchen, unter welchen Umständen eine Katheterintervention sinnvoll ist und wann die Patienten besser mit Medikamenten, also etwa Bluthochdruckmitteln, behandelt werden.

Herzerforscher-Redaktion: Worum geht es noch?

Gerhard-Paul Diller: Das zweite große Thema sind Schwangerschaften, weil kardiale Erkrankungen nach wie vor eine der häufigsten Ursachen mütterlicher Sterblichkeit sind. Das kommt in unseren Breiten zwar generell super selten vor, gottseidank. Aber gerade Frauen mit angeborenen Herzfehlern tragen bei einer Schwangerschaft ein großes Risiko. Es gibt komplexe Herzfehler mit Blausucht und Lungenhochdruck, da weiß man, dass die mütterliche Sterblichkeit fast bei 50 Prozent liegt. Hinzukommt, dass die Frauen sehr geringe Chancen haben, ein Kind normal auszutragen, weil die mangelnde Sauerstoffsättigung des Blutes schlecht für den Fötus ist. Aber da lässt sich ja inzwischen viel tun. Man kann heute fundierter beraten, für den Fötus nicht verträgliche Medikamente während der Schwangerschaft absetzen und, und. Da ist die Frage, wird das auch flächendeckend gemacht? Ähnliches gilt auch für die Entbindung. Ist ein Kaiserschnitt tatsächlich sinnvoll oder belastet er den gesamten Herzkreislauf doch stärker als eine Spontangeburt? Und wo werden die Frauen entbunden? Ist ein Team aus Herzspezialisten dabei, so dass der Ablauf auch für den Notfall planbar ist? Auch diesen Fragen wollen wir auf den Grund gehen.

Für die Datentiefe haben wir das Nationale Register an Bord.

Herzerforscher-Redaktion: Wie gehen Sie vor?

Gerhard-Paul Diller: Es gibt noch keine flächendeckenden Daten zur Versorgung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern in Deutschland. Was es aber gibt, sind die Datenbanken der Krankenkassen, die Daten des Statistischen Bundesamtes, die wir für unsere Studie nutzen, und die Daten des Nationalen Registers. Wir haben das Glück, dass sich mit der Barmer GEK eine der größten Krankenkassen an unserem Projekt beteiligt. Die Barmer hat rund 10 Millionen Mitglieder und stellt uns Daten zur Verfügung, die ungefähr einen Zeitraum von zehn Jahren abdecken. Da sind natürlich nur solche Daten gesammelt worden, die auch abrechnungsrelevant sind. Für die Datentiefe haben wir das Nationale Register an Bord, das über spezifische Krankheits- und Behandlungsdaten verfügt. Das ist sehr interessant, weil wir hier unterschiedliche Patientengruppen mit besonderen Charakteristika für den Datenabgleich auswählen können.

Herzerforscher-Redaktion: Haben Sie aus der Praxis heraus eine Vermutung, was sich hier im Ergebnis zeigen könnte?

Gerhard-Paul Diller: Wir haben ja das Problem, dass manche Patienten nicht angebunden sind an spezialisierte Zentren oder spezialisierte Fachärzte. Auf der Grundlage der unterschiedlichen Daten haben wir erstmals die Möglichkeit zu analysieren, was das für Patienten mit bestimmten Diagnosen bedeutet. Dazu werden wir eine der ersten Big Data Analysen auf diesem Gebiet in Deutschland durchführen.

Big Data Analysen sind in Deutschland Neuland.

Herzerforscher-Redaktion: Big Data Analysen klingen gerade im Forschungsumfeld verheißungsvoll. Auf der anderen Seite bereitet das Thema vielen Bürgern Unbehagen, gerade in Bezug auf ihre eigenen Daten.

Gerhard-Paul Diller: Das kann ich grundsätzlich gut verstehen. Bezüglich unserer Forschung ist diese Sorge jedoch unbegründet. Was in unserem Fall deutlich überwiegt, ist der enorme Nutzen der Möglichkeit, riesige Datenmengen binnen kürzester Zeit auswerten und miteinander vergleichen zu können. Es ist schon ein Unterschied, ob zwanzig Datensätze ausgewertet werden oder eine Million. Das ist in Deutschland noch Neuland. Da kommt uns dann auch die langjährige Expertise des Nationalen Registers in Sachen Datenschutz und Datenmanagement zugute. Da gibt es genügend Erfahrung und Praxis, um den Schutz des einzelnen Patienten zu gewährleisten und die Aussagefähigkeit der Ergebnisse zu sichern.

Herzerforscher-Redaktion: Wie lange dauert es, bis so eine Studie auf den Weg gebracht ist?

Gerhard-Paul Diller: Mit der Vorbereitung und den Forschungsanträgen läuft das inzwischen etwas länger als ein Jahr. Wir haben natürlich viel Erfahrung mit solchen Prozessen über das Nationale Register. Fremd ist uns das also nicht, aber speziell diese Art der Datenanalyse wird für uns eine neue Erfahrung sein. Wir haben auch die Unterstützung von zwei Biometrikern, die im Rahmen unseres Projektes gefördert werden und uns helfen, wenn es in die Tiefen der Statistik geht.

Die Forschungsinfastruktur muss durch öffentliche Mittel gesichert sein. Sonst geht das alles gar nicht.

Herzerforscher-Redaktion: Sie sprechen die Forschungsförderung an. Wie schwer ist es, an entsprechende Mittel heranzukommen?

Gerhard-Paul Diller: Das Projekt wurde vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, erfreulicherweise als so wichtig erkannt, dass er das finanziert. Aber natürlich: Jeder, der Studien durchführt, weiß auch: Das ist ein frustrierendes Feld. Da schreibt man einen Antrag und der wird abgelehnt, und dann schreibt man einen weiteren und der wird wieder abgelehnt, und irgendwann hat man eben auch mal Erfolg. Das geht glaube ich allen so.

Herzerforscher-Redaktion: Das gehört zum täglich Brot für die Kompetenznetzforscher?

Gerhard-Paul Diller: Ja, das gilt sicher für alle Wissenschaftler. Was ich allerdings bedenklich finde, ist, dass kaum anerkannt wird, wie notwendig es ist, eine Forschungsinfrastruktur, wie sie das Kompetenznetz mit dem Nationalen Register aufgebaut hat und pflegt, auch langfristig finanziell abzusichern. Das ist die entscheidende Plattform für Forscher, Akademiker, Kliniker und alle Leute, die sich für Forschung auf diesem Gebiet in Deutschland interessieren. Es wäre sicher Quatsch, wenn wir pauschal öffentliche Gelder für ein, zwei Studien im Jahr erhielten. Denn Studien müssen sich ja beweisen, müssen sinnvoll sein. Da ergibt es wenig Sinn, einfach Geld auszuschütten und zu sagen, jetzt macht mal. Aber die Struktur, die Grundausstattung, die Plattform, die muss durch öffentliche Mittel gesichert sein. Sonst geht das alles gar nicht.

Die Herausforderungen für einzelne Forscher sind zu viele und zu groß.

Herzerforscher-Redaktion: Welche Rolle spielt das Nationale Register generell für Forschung und Wissenschaft?

Gerhard-Paul Diller: Wir hatten am Kompetenznetz vor einigen Wochen eine Delegation aus England zu Gast. Die versuchen gerade, ein solches Register aufzubauen. Das heißt, es wird schon auch international gesehen, dass wir über eine mit Weitsicht geplante Struktur verfügen, die zunehmend Früchte trägt. Forschung auf dem Gebiet angeborener Herzfehler wäre ohne das Nationale Register schlicht nicht denkbar. Die Herausforderungen sind zu viele und zu groß. Daten- und Probenlogistik, rechtliche Anforderungen, ethische Richtlinien, Datenschutz – das sind sehr große Hürden für einzelne wissenschaftliche Institutionen. Es wäre auch überhaupt nicht effizient, wenn wir als Forscher uns damit beschäftigen müssten. Das machen die Mitarbeiter im Nationalen Register im Gegensatz zu uns ja tagtäglich und entsprechend versiert. 

Die Patienten sind angewiesen auf die Ergebnisse der Forschung. Das ist eine Investition in die Zukunft, die sich lohnt.

Herzerforscher-Redaktion: In der Besten aller Welten, was müsste geschehen, um die Herzforschung am Standort Deutschland weiterhin in dieser Qualität und Breite zu sichern, von den angeborenen bis zu den erworbenen Herzfehlern?

Gerhard-Paul Diller: Ich bin da als Gesundheitsökonom etwas vorbelastet. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass eine genauere Analyse der gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Relevanz dieser patientenorientierten Forschung dazu führen müsste, konsequent in diese weltweit einzigartige Forschungsinfrastruktur im Bereich der angeborenen Herzfehler zu investieren. Die Patienten sind angewiesen auf die Ergebnisse dieser Forschung. Sie haben einen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Lebensqualität wie jeder andere auch. Insofern sollte man das Register unbedingt dabei unterstützen, in der digitalen Ära des 21. Jahrhunderts Fuß zu fassen. Das ist eine Investition in die Zukunft, die sich lohnt. Das müssen wir auch noch stärker kommunizieren. Über 50.000 Registermitglieder spenden ihre Daten und Proben. Das ist ein großer Vertrauensbeweis und bedeutet eine hohe Verantwortung. In der Besten aller Welten weiß eine Gesellschaft die Gesundheit aller ihrer Mitglieder zu schätzen und sorgt für die entsprechenden Grundlagen.

Herzerforscher-Redaktion: Herr Professor Diller, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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