Eingang zur Direktion der Klinik für Pädiatrische Kardiologie am Universitätsklinikum des Saarlandes., Wolfram Scheible für Nationales Register © Wolfram Scheible für Nationales Register

Herzerforscher-Magazin | Forschergespräch

Chance für die Herzmedizin

Im Interview: Der Kinderkardiologe Hashim Abdul-Khaliq

Seit 2006 leitet der Kinderkardiologe Hashim Abdul-Khaliq in Homburg die kardiologische Pädiatrie am Universitätsklinikum des Saarlandes, seit 2009 ist er im Vorstand des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Wenn es das Nationale Register nicht schon gäbe, müsste man es erfinden, sagt der Mediziner. Die Forschungsmöglichkeiten im Verbund betrachtet er als enorme Chance für die Herzmedizin.

Wir warten auf den Klinikchef. Es ist noch früh am Morgen. Auf den kinderfreundlich gestalteten Gängen der Klinik für Kinderkardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes geht es plötzlich hektisch zu. Hashim Abdul-Khaliq lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nimmt sich Zeit für schreiende Säuglinge, weinende Kleinkinder und viele besorgte Eltern.

Gerade hat ein Junge im Grundschulalter freudestrahlend das Sprechzimmer des Kinderkardiologen verlassen, ausgestattet mit einem schicken Ultraschallbild und Utensilien für die kardiologische Untersuchung seines Plüschgefährten. Jetzt wartet ein Notfall auf Hashim Abdul-Khaliq. Er entschuldigt sich kurz, saust los. Wir werden ihn erst am Abend wiedersehen, im humangenetischen Forschungslabor der Universität des Saarlandes.

Wird erst einmal zu einem Notfall gerufen: Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq © Wolfram Scheible für Nationales Register
Wird erst einmal zu einem Notfall gerufen: Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq

Herzerforscher-Redaktion: Herr Professor Dr. med. Abdul-Khaliq, das war ein langer Tag. Sie kommen gerade von einem Notfall?

Hashim Abdul-Khaliq: Nicht ganz. Jetzt komme ich aus dem Herzkatheterlabor. Wir hatten einen Patienten mit einem anatomisch sehr komplexen angeborenen Herzfehler, einer Heterotaxie, einem Einkammerherz und einer Verschlechterung der Fontanzirkulation. Die Verengungen in den Lungengefäßen konnten wir erfreulicherweise durch eine Herzkatheter-Intervention beheben. Das ist heute eine exzellente, sehr schonende Methode, um diese Kinder nach komplexen Operationen zu behandeln.

Herzerforscher-Redaktion: Bevor wir mit Ihnen über die Forschung und das Kompetenznetz sprechen: Wir saßen heute früh eine Weile vor Ihrem Sprechzimmer. Ein Kind nach dem anderen wurde mit seinen Eltern in Ihr Zimmer gerufen. Es herrschte Hochbetrieb. Und alle kamen sie zufrieden wieder raus. Wie geht es Dir, haben wir einen Ihrer kleinen Patienten gefragt. Seine prompte Antwort: „Na, super!!!“ Wie schafft man das?

Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im Gespräch mit einem jungen Patienten. © Wolfram Scheible für Nationales Register
Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im Gespräch mit einem jungen Patienten.

Es ist nicht alles optimal. Wir müssen weiterforschen.

Hashim Abdul-Khaliq: Wir sehen hier viele Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder mit einfachen bis hin zu sehr schweren angeborenen Herzfehlern. Und wenn wir dann erleben, wie sie nach erfolgreicher Behandlung erst in den Kindergarten und dann zur Schule kommen und schließlich schon richtig groß geworden sind und Faxen mit uns machen, freut uns das riesig. Das gibt uns viel Energie für die tägliche Arbeit. Das treibt uns auch an, am Ball zu bleiben, sowohl klinisch als auch in der Forschung. Unsere Forschung betreiben wir ja zusätzlich zu unserer klinischen Arbeit, also meistens in unserer Freizeit. Und ohne diese Motivation, dass man für diese Kinder heute so viel tun kann und vor allem auch tun muss, wäre das schlicht nicht zu schaffen. Es ist nun mal noch nicht alles optimal. Wir müssen weiter forschen, damit diese Patienten besser überleben und eine gute Lebensqualität haben.

Herzerforscher-Redaktion: Es heißt, dass neunzig Prozent der Kinder nach einer erfolgreichen Operation herzgesund sind und ein ganz normales Leben führen können. Ist das so richtig?

Bei den sehr komplexen Herzfehlern kann man nicht von Heilung sprechen.

Hashim Abdul-Khaliq: Erfreulich ist zunächst, dass die meisten Kinder heute überleben. Das ist in den vergangenen 15 Jahren sogar noch einmal deutlich besser geworden. Und sie können auch ein weitgehend normales Leben führen. Bei den sehr komplexen Herzfehlern kann man jedoch nicht von einer Heilung sprechen. Viele mittelschwere und schwere Herzfehler lassen sich nur palliativ behandeln. Das heißt: Diese Patienten bedürfen oft verschiedener Nachbehandlungen und einer lebenslangen Nachbeobachtung, auch im Erwachsenenalter.

Herzerforscher-Redaktion: Was bedeutet das im klinischen Alltag? 

Hashim Abdul-Khaliq: Wir verbringen etwa die Hälfte unserer Zeit mit solchen chronisch kranken Kindern. Patienten, die ein Einkammerherz, und daher eine Fontanzirkulation haben, sind anatomisch nun mal leider nicht zu heilen. Da können im Verlauf und auch im späteren Alter weiterhin viele Probleme entstehen. Ähnliches gilt beispielsweise auch für Kinder, die eine Bioklappe in Pulmonalposition, also zur Lungenschlagader, haben. Die müssen medizinisch überwacht werden und diese Klappe muss irgendwann gewechselt werden. Das lässt sich heute häufig ebenfalls sehr gut per Herzkatheter-Intervention machen.

Herzerforscher-Redaktion: Wie sieht das bei den leichteren Herzfehlern aus? 

Hashim Abdul-Khaliq: Die meisten dieser Herzfehler lassen sich durch Operationen oder Katheterinterventionen sehr gut behandeln. Es gibt eine gerade erst publizierte Studie aus Dänemark, eine registerbasierte Studie – da sieht man, wie wichtig ein Register auf nationaler Ebene ist: Diese Studie hat gezeigt, dass bei Patienten mit leichten angeborenen Herzfehlern fünfzig Jahre nach der Behandlung deutlich mehr Herzprobleme auftraten als in der restlichen Bevölkerung. Das Spektrum reichte bis zum plötzlichen Herztod. Das heißt, auch ein Patient, der beispielsweise einen Ventrikelseptumdefekt oder einen Vorhofseptumdefekt hat, sollte sich medizinisch kontinuierlich überwachen lassen.

Wenn wir das Nationale Register für angeborene Herzfehler nicht schon hätten, müssten wir es erfinden.

Herzerforscher-Redaktion: Sie erwähnten gerade die Bedeutung der Registerforschung für solche Erkenntnisse.

Hashim Abdul-Khaliq: Jeder Patient mit seinen jeweiligen Herz- und Gefäßanomalien ist individuell, jedes Krankheitsbild ist eines für sich. Wir sehen so viele Patienten, die denselben Herzfehler haben und deren Krankheitsverläufe sich trotzdem voneinander unterscheiden. Noch dazu haben wir ein sehr breites Spektrum von Herz- oder Gefäßfehlbildungen. Da lässt sich für die dringend notwendige Forschung nicht so einfach eine einheitliche Kohorte von Patienten bilden wie es zum Beispiel in der Erwachsenenmedizin mit arteriellen Hypertonien oder koronaren Herzerkrankungen der Fall ist. Darum ist die Anmeldung der Patienten im Nationalen Register so wichtig. Mit dem Nationalen Register können wir solche Kohorten bilden, um wichtige Fragestellungen zum Langzeitverlauf zu generieren und entsprechende Studien durchzuführen. Wirkliche Fortschritte für die Lebensqualität der Patienten zu erzielen, das setzt zudem voraus, dass wir die gesundheitliche Entwicklung der Patienten 30, 40, 50 Jahre lang beobachten und analysieren können. Also, wenn wir in Deutschland das Nationale Register für angeborene Herzfehler nicht schon hätten, müssten wir es erfinden.

Auf diesem Wege müssen wir unbedingt weiterarbeiten.

Herzerforscher-Redaktion: Welche Rolle spielen solche Register für die internationale Wissenschaft?

Hashim Abdul-Khaliq: Eine immense Rolle. Gerade auf unserem Forschungsgebiet sind wir sowohl auf die nationale als auch auf die internationale Zusammenarbeit angewiesen. Wir waren hier in Deutschland unlängst an einem großen internationalen Verbundprojekt beteiligt. Und was kam dabei heraus? Exzellente Studien und Publikationen wie etwa ein Nature Paper aus der Grundlagenforschung zu syndromalen und nicht-syndromalen Herzfehlern. Und ich denke, auf diesem Wege müssen wir unbedingt weiterarbeiten.

Herzerforscher-Redaktion: Was macht dabei speziell das Nationale Register attraktiv?

Hashim Abdul-Khaliq: Die Forscher, mit denen wir zusammenarbeiten, schätzen vor allem, dass unsere Proben nach hohen Standards gesammelt und gepflegt werden, die Krankheitsbilder optimal charakterisiert und die Patienten akkurat phänotypisiert sind. Wie gesagt, die Patienten haben ja nicht nur ein Fallot oder eine Transposition der großen Arterien, sondern auch viele extrakardiale Anomalien. Neben dem Krankheitsbild auch die extrakardialen Anomalien und Erkrankungen zu erfassen und alles präzise aufzubereiten ist extrem wichtig, zum Beispiel für genetische Studien. Und das ist am Nationalen Register der Fall. Die einzelnen Forscher werden durch die verlässliche Basisarbeit massiv entlastet und können sich dadurch ganz auf ihre Forschung konzentrieren. All das macht unsere Daten und Proben interessant auch für Forschergruppen in England und in den USA.

„Die ,Nebenbefunde' der PAN-Studie waren hoch interessant.“

Herzerforscher-Redaktion: Sie haben die Publikation zu den neu entdeckten Genen in der Nature Genetics erwähnt. Wenn Sie auf die vergangenen Jahre seit Gründung des Kompetenznetzes 2003 zurückblicken: Was sind für sie weitere herausragende Studienergebnisse? Wo gibt es beispielsweise einen direkten Transfer in die Praxis?

Hashim Abdul-Khaliq: Wir haben sowohl klinische als auch genetische Studien, die von großer Bedeutung sind. Die erste klinische Studie war die PAN-Studie zur Prävalenz angeborener Herzfehler in Deutschland. Die Ergebnisse zur Verteilung der angeborenen Herzfehler waren an sich zwar nicht spektakulär, sie bestätigten statistisch, auf Basis einer großen nationalen Kohorte, was wir bereits wussten. Hoch interessant waren jedoch die „Nebenbefunde“ dieser Studie. Der eine Nebenbefund betraf die pränatale und postnatale Früherkennung. Deutlich wurde, dass viele Herzfehler nicht frühzeitig genug erkannt worden waren, um sie optimal behandeln zu können. Zusammen mit dem Bundesverband Herzkranke Kinder und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler haben wir auf Grundlage der Studienergebnisse den Anstoß dafür gegeben, die Pulsoxymetrie als Screeningmethode zu etablieren.

Herzerforscher-Redaktion: Daraufhin hat das Pulsoxymetrie-Verfahren Eingang in die nachgeburtliche Vorsorgeuntersuchung gefunden?

Hashim Abdul-Khaliq: Ja genau. Seit Januar 2017 ist die Untersuchung endlich Pflichtbestandteil der U1/U2.
Punkt zwei: Wir konnten neue Erkenntnisse bezüglich der Assoziation von angeborenen Herzfehlern mit Frühgeburten, mit Zwillingsgeburten und mit dem Alter der Mütter zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft gewinnen. Daraufhin haben wir am Kompetenznetz eine Studie bei Zwillingen durchgeführt. Erste Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass angeborene Herzfehler bei Kindern, die durch Hilfsmaßnahmen wie zum Beispiel In-vitro-Fertilisation oder andere Befruchtungsmöglichkeiten gezeugt worden sind, signifikant häufiger vorkommen. Wir werden das bei einer großen Gruppe von Kindern bundesweit weiterverfolgen und vertiefen müssen. Wir erkennen aber schon jetzt daran, dass die Entstehung angeborener Herzfehler auch durch bestimmte Umweltfaktoren begünstigt sein könnte. Solche epigenetischen Zusammenhänge müssen wir in Zukunft genauer studieren.

Herzerforscher-Redaktion: Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer künstlichen Befruchtung und dem Auftreten angeborener Herzfehler?

Hashim Abdul-Khaliq: Hinweise darauf, ja.

Herzerforscher-Redaktion: Was wäre dann die Konsequenz, sollte man dann lieber auf eine künstlich herbeigeführte Schwangerschaft verzichten?

Hashim Abdul-Khaliq: Also es ist nicht so, dass wir jetzt grundsätzlich sagen müssten „Hände weg von der künstlichen Befruchtung“.  Wir nehmen eher an, dass eine Schädigung der DNA durch die Prozedur selbst begünstigt wird und dass es demnach ausreichte, das Verfahren zu verbessern.

Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im humangenetischen Labor des Universitätsklinikums des Saarlandes © Wolfram Scheible für Nationales Register
Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im humangenetischen Labor des Universitätsklinikums des Saarlandes

Die Forschung im Bereich der Herzinsuffizienz bei Kindern ist noch ganz neu.

Herzerforscher-Redaktion: Woran forschen Sie hier in diesen Räumen zurzeit?

Hashim Abdul-Khaliq: Wir befinden uns im Institut für Humangenetik. Hier arbeiten wir eng mit Professor Meese und seinen Mitarbeitern zusammen.  Unser Forschungsschwerpunkt liegt in der Untersuchung der MicroRNA. Früher hat man den MicroRNAs nicht so viel Bedeutung beigemessen. Aber inzwischen wissen wir, dass sie sowohl bei normalen als auch bei pathologischen Vorgängen im Körper eine Rolle beim Anschalten und Abschalten von Genen spielen. Wir sind jetzt dabei, die MicroRNAS im Blut von Kindern mit verschiedenen angeborenen Herzfehlern zu analysieren. Wir haben die MicroRNA im Myokard, also im Herzgewebe der Kinder, vor und nach einer Korrekturoperation analysiert, mit sehr interessanten Ergebnissen, die auf bestimmte Mechanismen der Regeneration hinweisen. Das ist ein entscheidender Aspekt, den wir jetzt am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler weiterverfolgen werden.

Herzerforscher-Redaktion: Können Sie diese Mechanismen für uns Laien noch einmal näher erläutern?

Hashim Abdul-Khaliq: Ja klar, das habe ich jetzt nicht bedacht. In der Myokardzelle finden, wie in allen anderen Zellen im Körper, viele komplexe biologische und biochemische Prozesse statt. Werden diese biologischen Vorgänge erschüttert, zum Beispiel durch eine Stresssituation, durch Sauerstoffmangel oder eine Korrekturoperation, bei der das Herz unterkühlt stillsteht, dann können Sie sich vorstellen, dass sich dadurch Prozesse in der Zelle verändern.

Herzerforscher-Redaktion: Und diese Veränderungen lassen sich beobachten?

Hashim Abdul-Khaliq: Ja, wir schauen und analysieren, welche Mechanismen oder welche MicroRNAs für die Erholung, die Reparatur, für die Regeneration der Herzmuskelzellen nach der Operation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine von Bedeutung sind. Das heißt, wir sind dabei, diese Prozesse überhaupt erst einmal zu verstehen und zu charakterisieren. Die Forschung im Bereich der Herzinsuffizienz bei Kleinkindern, bei Neugeborenen ist ja noch ganz neu. Anders als in der Erforschung der im Erwachsenenalter erworbenen Herzerkrankungen gibt es kaum Arbeitsgruppen, die sich damit beschäftigen. Wir wollen herausfinden, was im Herzen vor und nach der Operation, vor und nach dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine passiert. Und zwar nicht nur histologisch, sondern auch molekulargenetisch. Die MicroRNAs, die gleichsam signalartig viele Prozesse in Gang setzen, sind also schon von Bedeutung. Wir können diese Vorgänge inzwischen auf Basis eines von uns entwickelten klinischen Modells analysieren. Auf dieser Grundlage planen wir jetzt eine weitere größere Studie mit der Biobank des Registers am Kompetenznetz.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir viel für die Zukunft der Herzmedizin bewirken können.

Herzerforscher-Redaktion: Ließe sich so herausfinden, wie der menschliche Körper sein Herz selbst reparieren kann? In letzter Zeit war in diesem Zusammenhang häufig von den Zebrafischen als Vorbild die Rede, denen das tatsächlich gelingt. 

Hashim Abdul-Khaliq: Ja, Zebrafische und auch Föten und Neugeborene bei Mäusen sind bezüglich der Regeneration des Myokards sehr ausführlich untersucht worden. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass sich die reife Myokardzelle nicht mehr teilt. Ganz so stimmt das nicht, wie man heute weiß. Fest steht, dass die Fähigkeit der Zelle sich zu teilen und zu vermehren für bestimmte Zeit auch nach der Geburt noch erhalten bleibt. Und auch von menschlichen Föten und Neugeborenen wissen wir inzwischen, dass diese Regenerationsfähigkeit des Herzmuskels durch die Zellteilung noch gewährleistet ist.

Herzerforscher-Redaktion: Woraus schließt man so etwas?

Hashim Abdul-Khaliq: Wir haben anhand der ersten Proben von Neugeborenen nach Korrekturoperationen, die wir analysiert haben, gesehen, dass noch Neugeborene eine deutlich höhere Regenerationsfähigkeit haben als Säuglinge jenseits des dritten Lebensmonats. Das heißt, nach dem Stress einer komplexen Korrekturoperationen mit Herzstillstand in tiefer Hypothermie waren die dafür zuständigen Stammzellen bei Neugeborenen signifikant vermehrt, während sie bei den größeren Kindern vergleichsweise vermindert waren.

Herzerforscher-Redaktion: Was lässt sich daraus für die Zukunft ableiten?

Hashim Abdul-Khaliq: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit der Erforschung der Regeneration des Myokards im Neugeborenen-Alter viel für die Zukunft der Herzmedizin im Kindes- und Erwachsenenalter bewirken können. Unsere Forschung weist damit auch eine interessante Schnittstelle zu Forschungsprojekten in der Erwachsenenkardiologie auf. 

Herzerforscher-Redaktion: Was könnte die Erforschung der Regenerationsmechanismen einmal für die Patienten bedeuten?

Hashim Abdul-Khaliq: Noch ist das Zukunftsmusik. Zunächst einmal müssen wir die Mechanismen der Schädigung und Regeneration von Herzmuskelzellen bei Kindern und vor allem bei Neugeborenen noch weiter erforschen und besser verstehen. Aber wenn es uns gelingen würde, aus jedem operierten Herzen bei Neugeborenen Stammzellen zu entnehmen, die später diesem oder einem anderen Kind oder Erwachsenen für die Regeneration seines Herzens zur Verfügung stehen, das wäre eine schöne Zukunft.

Herzerforscher-Redaktion: Bis es so weit ist, wird es vermutlich noch lange dauern?

Hashim Abdul-Khaliq: Ganz so weit entfernt liegt diese Zukunft gar nicht. Es gibt bereits publizierte Arbeiten aus Japan zu diesem Thema. Dort hat man bei Patienten mit Hypoplastischen Linksherzsyndrom Proben entnommen, Stammzellen regeneriert und den Kindern diese Stammzellen anschließend über das Herzkranzgefäß per Herzkatheter zurückgegeben. Die Einkammerherzen bei diesen Kindern haben sich deutlich erholt. Also, wir werden auf diesem Gebiet unbedingt weiter forschen müssen. Wir haben die Infrastruktur, wir haben die Biobank, die multizentrische Forschung im Rahmen des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler ist inzwischen etabliert in Deutschland. Wenn wir jeden Herzfehler, jedes Kind, das am Herzen im Neugeborenen-Alter operiert wird, genetisch genau charakterisieren bezüglich der Regeneration und vielleicht Stammzellen aus diesem Herzen regenerieren, dann könnte das für die langfristige Lebensqualität der Kinder von erheblicher Bedeutung sein.

Noch gehen die Probleme unserer Patienten neben den erworbenen kardialen Volkskrankheiten allzu leicht unter.

Herzerforscher-Redaktion: Wo sehen Sie auf einem solchen Weg die größten Hürden für die Verbundforschung?

Hashim Abdul-Khaliq: Da gibt es einige. Ich denke aber, wir sind grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Zum einen arbeiten am Kompetenznetz mit seinem Nationalen Register und der Biobank zahlreiche Institutionen miteinander. Wir sind froh darüber, dass sich heute alle Kinderherzzentren an unserem Forschungsverbund beteiligen. Das ist ein Riesenerfolg. Wir erreichen sehr viele Ärzte, Kinder und Eltern sowie erwachsene Patienten mit angeborenen Herzfehlern. Das ist eine wirklich gute Basis für die Zukunft. Zum anderen sind wir dankbar für die Anschubfinanzierung durch den Bund, der das Kompetenznetz bis 2014 maßgeblich finanziell gefördert hat, sowie für ganz viele private Mittelzuwendungen und Unterstützungsleistungen aus der Privatwirtschaft und von einzelnen Kinderherzstiftungen. Seit 2015 werden wir maßgeblich durch das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung finanziert. Doch das ist kein Selbstläufer. Gerade erst haben wir regelrecht um die Weiterfinanzierung des Forschungsverbundes für 2019 kämpfen müssen. Wir brauchen auch mit Blick auf unser Standing in der internationalen Forschungslandschaft dringend eine Lösung für die langfristig verlässliche Absicherung der Weiterentwicklung unserer Forschungsinfrastruktur und der Verbundforschung.

Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im Fachgespräch mit KNAHF-Geschäftsführerin Dr. Ulrike Bauer. © Wolfram Scheible für Nationales Register
Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq im Fachgespräch mit KNAHF-Geschäftsführerin Dr. Ulrike Bauer.

Herzerforscher-Redaktion: Sollte das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein? Was macht es so schwierig?

Hashim Abdul-Khaliq: Bei den angeborenen Herzfehlern handelt es sich ja jeweils um sehr kleine Patientengruppen mit seltenen Herz- und Gefäßerkrankungen. Das macht die Forschung auf diesem Gebiet sehr aufwändig. Viele Firmen schrecken davor zurück, entsprechende Studien zu finanzieren. Es wird dabei oft unterschätzt, von welcher Bedeutung die Erforschung der kleinen Herzen auch für Patienten mit erworbenen Herzfehlern ist. Noch gehen die Probleme unserer Patienten neben den erworbenen kardialen Volkskrankheiten allzu leicht unter. Bis hin zur Gesetzgebung macht sich das bemerkbar. Ohne staatlich finanzierte Forschung und ohne gezielte Forschungsanreize für Pharmaunternehmen und Medizinproduktehersteller lassen wir diese Patienten im Stich. Das lässt sich weder wissenschaftlich noch ethisch vertreten. Wir haben mit dem Kompetenznetz gleichsam ein Haus für die Zukunft gebaut, das sehr wertvoll ist. Es gilt, dieses Haus weiter zu gestalten und weiter zu pflegen. Alles andere wäre schon mehr als unverantwortlich.

Herzerforscher-Redaktion: Herr Professor Abdul-Khaliq, wir danken Ihnen für das Gespräch.


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