Herzerforscher - Das Magazin
Wer behandelt uns?
15 Jahre Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
2003 gab das Bundesministerium für Bildung und Forschung grünes Licht für den Aufbau des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Damit fiel der Startschuss für eine der weltweit größten Forschungsplattformen auf diesem Forschungsgebiet.
- Herzerforscher - Das Magazin
- Editorial
- Wer behandelt uns?
- Forschungsdauer: Viele Leben lang!
- Arzttermin bei Arnulf Boysen
- Arzttermin bei Tanja Rädle-Hurst
- Forschergespräch mit Prof. Dr. med. Hashim-Abdul Khaliq
- Forschergespräch mit Prof. Dr. Dr. med. Gerhard-Paul Diller
- Forschergespräch mit Prof. Dr. Marc-Phillip Hitz
Herzspezialisten - Filmtrailer
Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
Wer behandelt uns?
Gemeinsam mit vier weiteren „Herzspezialisten“ steht Ulrike Knopf 2007 für den gleichnamigen Dokumentarfilm vor der Kamera. Auf die Frage von Regisseur Christian Barthelmes, wie gut sie sich medizinisch betreut fühle, antwortete die damals 22-Jährige. „Es ist so, dass es eigentlich keinen Arzt gibt, der Leute mit angeborenem Herzfehler behandeln kann. Die Kinderkardiologen, die das Wissen dafür haben, die dürfen das nicht mehr, sobald wir über 18 sind. Und die Erwachsenenkardiologen haben zu einem großen Teil keine Ahnung von angeborenen Herzfehlern.“ Nachdenklich fügte sie hinzu: „Und jetzt ist die große Frage: Wer behandelt uns?“ Damit brachte Ulrike Knopf das Dilemma einer Patientengruppe auf den Punkt, die in der Medizin noch immer eine große Unbekannte darstellt.
300.000 Herzspezialisten
Ulrike Knopf kam 1985 zur Welt. Sie ist eine von heute rund 300.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland, die mit einem angeborenen Herzfehler leben. Erst seit den siebziger Jahren sorgt der medizinische Fortschritt dafür, dass die meisten Kinder mit einer angeborenen Herzfehlbildung überleben und erwachsen werden. Zwar können die Patienten häufig ein weitgehend normales Leben führen, jedoch erfordert die Grunderkrankung eine lebenslange medizinische Betreuung.
Task Force für ein bessere Versorgung
2008, in dem Jahr, in dem „Herzspezialisten“ in die Kinos kommt, erscheinen erstmals Leitlinien für die Diagnostik und Therapie von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern. Auf Initiative einer gemeinsamen Task Force der kardiologischen Fachgesellschaften, Patientenorganisationen und des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler wurden zudem ab 2009 in Deutschland neue Strukturen und Maßnahmen zur überlebensnotwendigen Betreuung der Patienten beim Übergang ins Erwachsenenalter geschaffen. Die Forschung am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler war die entscheidende Voraussetzung dafür.
Zusammenarbeiten für den medizinischen Fortschritt
Die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten ist oberstes Ziel der wissenschaftlichen Arbeit am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler. Die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen der Früherkennung, Prävention und Behandlung bei angeborenen Herzfehlern und bei im Kindes- oder Jugendalter diagnostizierten Herzerkrankungen ist der Schlüssel dazu.
Die hierfür notwendige Forschung musste überhaupt erst möglich gemacht werden. Angeborene Herzfehler weisen eine große Vielfalt an Krankheitsbildern auf. Eine einzelne Forschungsinstitution gelangt aufgrund dieser Heterogenität kaum an genügend Daten und Proben, um aussagefähige Ergebnisse zu erzielen. Das gab schließlich den Ausschlag für die Initiative des damaligen Leiters der Abteilung für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie des Deutschen Herzzentrums Berlin, Prof. Dr. Peter E. Lange: den Aufbau eines bundesweiten Patientenregisters.
Tragfähige Verbundstruktur
Im Jahr 2003 haben die kardiologischen Fachgesellschaften gemeinsam den Verein Nationales Register für angeborene Herzfehler ins Leben gerufen. Beteiligt waren die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK), die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK), die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK), die Arbeitsgemeinschaft Niedergelassener Kinderkardiologen (ANKK) und die Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte. Schirmherrin war Friede Springer.
Mit dem Nationalen Register für angeborene Herzfehler gelang es, eine Daten- und Proben-Basis für die internationale Forschung zu schaffen, die in dieser Form einmalig ist. Patientenorientierte Forschung mit verlässlichen, reproduzierbaren Forschungsergebnissen setzt die gesellschaftlich kontrollierte enge Zusammenarbeit von Ärzten, Forschern, Patienten und Industrie voraus. Dafür braucht man eine tragfähige Verbundstruktur. Mit dem Nationalen Register als Kernprojekt bewarben sich Ärzte, Wissenschaftler und Patientenverbände daher im selben Jahr im Rahmen der Initiative „Kompetenznetze in der Medizin“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) um Fördermittel für den Aufbau des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Mit Erfolg.
Weltweit größte Forschungsplattform
Heute ist das Kompetenznetz Angeborene Herzfehler eine der weltweit größten Forschungsplattformen für multizentrische Studien im Bereich der angeborenen Herzfehler. Über 30 Universitäten, Herzzentren, Forschungsinstitute und Rehabilitationskliniken sowie zahlreiche niedergelassene Kinderkardiologen und Kardiologen beteiligen sich aktiv an dem Forschungsverbund. Rund 55.000 Patienten und Familienangehörige haben sich freiwillig im Register angemeldet und vertrauen der Forschung ihre Daten und Proben an. Damit geforscht wird auf nationaler wie auf internationaler Ebene.
Translationsstarke Forschung
Neue Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung, der klinischen Forschung und aus der Grundlagenforschung des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler sind inzwischen in die Praxis gemündet und tragen so zu einer verbesserten medizinischen Versorgung der Patienten bei. Verbindliche medizinische Standards und verlässliche Referenzwerte unterstützen heute die Erkennung und Behandlung von angeborenen Herzfehlern und ihren Folgeerkrankungen.
So konnte in jüngster Vergangenheit auf Initiative des Forschungsverbundes beispielsweise das Pulsoxymetrie-Screening als Verfahren zur Früherkennung einer Herzfehlbildung etabliert werden. Forschungsergebnisse aus einer bundesweiten klinischen Studie des Kompetenznetzes hatten Lücken in der pränatalen und postnatalen Diagnostik aufgedeckt. Seit Januar 2017 ist die Untersuchung Pflichtbestandteil der nachgeburtlichen Vorsorgeuntersuchung U1/U2.
Spezialisierte Betreuung und fundierte Beratung
2016 belegten Studienergebnisse aus der Versorgungsforschung auf Basis des Registers, dass leitliniengerecht mit speziellen Medikamenten und in spezialisierten Zentren behandelte Patienten mit einer schweren Lungenerkrankung in Folge eines Herzfehlers eine bessere Lebensqualität und Überlebensrate aufweisen als Patienten, die nicht spezialisiert versorgt worden sind.
Für zukunftsweisende Erkenntnisse sorgt auch die registerbasierte Grundlagenforschung. In Kooperation mit dem Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge hat ein internationales Forscherteam erstmals Gene identifizieren können, die an der Entwicklung komplexer Herzfehler beteiligt sind. Die im September 2016 in der Nature Genetics veröffentlichten Ergebnisse liefern wichtige Anhaltspunkte für die Behandlung und für die genetische Beratung betroffener Familien.
Gemeinsam Zukunft ermöglichen
Ermöglicht werden solche Forschungserfolge durch die staatliche Forschungsförderung und die Zuwendungen zahlreicher Initiativen und privater Mittelgeber sowie durch das kontinuierliche Engagement zahlreicher Patienten, Ärzte und Wissenschaftler aus allen Bereichen des Forschungsverbundes.
Von 2003 bis 2014 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Forschungsverbund gefördert. Seit 2015 wird das Kompetenznetz als assoziierter Partner maßgeblich durch das aus Bundes- und Landesmitteln geförderte Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) finanziert. Zu den Förderern zählen seit 2016 auch die Deutsche Herzstiftung, die Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren und bis 2018 die Friede Springer Herz Stiftung.
Gesundheitliches Wohlergehen, Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe: Für dieses Menschenrecht sind weiterhin weltweit viele Patienten auf eine standortübergreifende und internationale Verbundforschung angewiesen, die Ursachen, Versorgung und langfristiges Wohlergehen der Patienten gleichermaßen in den Blick nimmt.
Eine Aufgabe, die alle angeht
Forschung und Entwicklung in der Kinderherzmedizin sorgen dabei immer wieder für Innovationen auch in der Erwachsenenmedizin. So macht die Entwicklung des kathetergestützten Einsatzes von Herzklappen heute eine Operation am offenen Herzen auch bei erworbenen Herzerkrankungen in vielen Fällen überflüssig.
Im Bereich der Grundlagenforschung liefern neueste Erkenntnisse aus genetischen und molekularbiologischen Studien des Kompetenznetzes wichtige Anhaltspunkte für künftige Therapieansätze. Diese könnten sowohl für den Bereich der angeborenen Herzfehler als auch für den Bereich der erworbenen Herzerkrankungen von großer Bedeutung sein.
Ulrike Knopf ist heute 33 Jahre alt. Sie nimmt seit vielen Jahren am Nationalen Register teil. „Damit der medizinische Fortschritt weiter geht und auch anderen Generationen zu Gute kommt“, hat sie erklärt und damit eine Zukunftsaufgabe formuliert, deren Widmung sich der Forschungsverbund auf lange Sicht verpflichtet hat, eine Aufgabe, die alle angeht.
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Lesen, Sehen, Hören
Herzspezialisten
Fünf Herzen, fünf Menschen, fünf Leben.
Der im Auftrag des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler von Script House produzierte Film „Herzspezialisten“ des Regisseurs Christian Barthelmes porträtiert fünf Persönlichkeiten mit angeborenen Herzfehlern. Christian Barthelmes hat die Herzspezialisten in ihrem Alltag begleitet und mit ihnen über ihre Wünsche, Hoffungen und Ängste gesprochen. Entstanden ist ein Film, der in eindringlicher und berührender Weise über das menschliche Herz, über Herzgeschichten und Herzenswünsche, über Glück und Schmerz, über kritische Momente und große Lebenskraft, über kranke und geheilte Herzen erzählt.
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