Genetik
Wie repariert sich das Herzmuskelgewebe?
NEOMY: Das Geheimnis der MicroRNAs
Wissenschaftlicher Name der Studie
Untersuchung zur regenerativen Fähigkeit des Myokards nach herzchirurgischen Eingriffen bei Neugeborenen und Kindern mit angeborenen Herzfehlern (NEOMY)
Unsere Körperzellen verfügen über eine besondere Fähigkeit. Sie reparieren sich ständig. Nur nicht alle. Nerven- oder Herzmuskelzellen verlieren diese Fähigkeit zur Regeneration weitgehend, sobald wir erwachsen werden. Wir wissen aus der Forschung, etwa mit Zebrafischen oder Mäusen, dass das Herzmuskelgewebe von Embryos und Föten eine ausgeprägte Fähigkeit zur Erholung besitzt. Auch das Herzmuskelgewebe von Kindern im Mutterleib und sogar noch von Neugeborenen scheint dazu in der Lage zu sein.
Dieser Annahme gehen wir näher auf den Grund. Würde sich das bestätigen, ließen sich damit neue Therapieansätze verfolgen, die Herzpatienten bis ins hohe Erwachsenenalter von Nutzen sein könnten.
Rechtzeitiger Eingriff verbessert Prognose
Die meisten komplexen angeborenen Herzfehler erfordern eine Korrekturoperation. Heute wissen wir: Erfolgt sie rechtzeitig, können viele Menschen gut mit ihrem Herzfehler alt werden. Und rechtzeitig heißt: so früh wie möglich. Denn der lebensrettende Eingriff, der den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine erforderlich macht, greift zwangsläufig auch in das Herzmuskelgewebe ein und birgt damit das Risiko eines in Folge der OP auftretenden Herzmuskelversagens. Die Fähigkeit des Herzmuskelgewebes zur Regeneration beeinflusst den Verlauf nach der Operation daher entscheidend.
Risiken kennen und abwägen
Trotzdem gilt es immer, vorhandene Risiken gut gegeneinander abzuwägen. Gerade im Übergang von der Zeit im Mutterleib in die Neugeborenenphase muss der reifende Herzmuskel eine hohe Anpassungsleistung vollbringen. Was wir daher zur genauen Bestimmung des optimalen Zeitraums für die Korrektur-OP wissen müssen ist, ob neben der Erholungsfähigkeit des Herzmuskels bei Neugeborenen etwa auch seine Verletzlichkeit erhöht ist und in welchem Verhältnis zueinander sich der Grad der Erholung und der Grad der Verletzung des Gewebes bewegen.
Pilotstudie liefert neue Ansatzpunkte
Anders als bei Erwachsenen mit erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Ursachen des Herzmuskelversagens bei Neugeborenen und Kleinkindern mit angeborenen Herzfehlern noch weitgehend unerforscht. In der klinischen Praxis zeigt sich jedoch schon heute, dass sich besonders Neugeborene mit angeborenen Herzfehlern gut von einem Korrektureingriff am offenen Herzen erholen. Wir nehmen daher an, dass die Erholungsfähigkeit des Herzmuskelgewebes in der neonatalen Phase noch ausgeprägter ist als bei älteren Kleinkindern. Wichtige wissenschaftliche Ansatzpunkte dafür, das genauer herauszufinden, haben wir im Rahmen unserer Pilotstudie gewonnen.
-
Hintergrund
Ergebnisse und Publikation der Pilotstudie
Veränderungen bei den Aktivitäten der Signalmoleküle
Im Rahmen von NEOMY hat das Forscherteam um Prof. Dr. Hashim Abdul-Khaliq und Dr. Martin Poryo am Universitätsklinikum des Saarlandes das Myokard von Neugeborenen und Kindern mit angeborenen Herzfehlern vor und nach der OP am offenen Herzen untersucht.
Die Wissenschaftler des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler stellten signifikante Veränderungen bei den Aktivitäten der Signalmoleküle in der Zelle vor und nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine fest. Sie konnten MicroRNAs bestimmen, die nach Herz-OPs mit Herz-Lungen-Maschine vermehrt oder vermindert gebildet wurden. Neben Regulationsproteinen, von denen bereits bekannt ist, dass sie an der Entstehung von Herzerkrankungen beteiligt sind, stießen die Forscher auch auf bislang noch unbekannte MicroRNAs.
Die neu gewonnenen Daten könnten erstmals genauen Aufschluss über die Regenerationsfähigkeit des Herzmuskelgewebes und entsprechende Anpassungsprozesse in den Herzmuskelzellen während des Eingriffs geben. Daraus ließen sich, so die Hoffnung der Forscher, neue Therapiemöglichkeiten bei Herzmuskelversagen ableiten.
Die Ergebnisse der Pilotstudie sollen jetzt in einer breit angelegten multizentrischen Studie geprüft werden. Das Nationale Register für angeborene Herzfehler unterstützt die Forscher bei der datenschutz- und ethikkonformen Sammlung von Daten- und Probenspenden nach höchsten wissenschaftlichen Standards.
Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:
Publikationen
-
30.5.2017
Differential expression of microRNAs following cardiopulmonary bypass in children with congenital heart diseases.
Abu-Halima M, Poryo M, Ludwig N, Mark J, Marsollek I, Giebels C, Petersen J, Schäfers HJ, Grundmann U, Pickardt T, Keller A, Meese E, Abdul-Khaliq H
Journal of translational medicine 15, 1, 117, (2017). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.
-
Kaum erbsengroßes Gewebe aus dem Herzohr
Wir haben dazu das Herzmuskelgewebe von Neugeborenen und Säuglingen mit angeborenen Herzfehlern vor und nach dem lebensrettenden Eingriff untersucht. Dabei haben wir geprüft, was sich vor und nach dem Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine in den Herzmuskelzellen abspielt. Die Proben dafür haben wir dem Gewebe des rechten Herzohrs entnommen. Für die kleinen Patienten bedeutet das kein zusätzliches Risiko. Das kaum erbsengroße Material weicht beim Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine der Kanüle und landet normalerweise im OP-Abfall. Ähnliches gilt auch für die Vergleichsprobe, die wir beim Entfernen der Kanüle entnehmen. Für die Ursachenforschung leisten uns die Proben große Dienste. Wir können daran die Zellschädigung, die Zellteilung und die Ansiedlung von Stammzellen beobachten. Über die Mechanismen in der Zelle, die zu einer Zellschädigung und auch zur Ansiedlung von Stammzellen und damit zur Erholung des Herzmuskelgewebes führen, geben uns zudem die Blutproben der Patienten Aufschluss.
-
Kurz erklärt
Damit das Herz pumpt
Was leisten die Herzmuskelzellen?
Die Herzmuskelzellen sind der Hauptbestandteil des Myokards, unseres Herzmuskelgewebes. Und der Herzmuskel ist der entscheidende Motor für unseren Kreislauf. Er sorgt für die Pumpleistung unseres Herzens, in dem sich das Herzmuskelgewebe fortwährend zusammenzieht und wieder entspannt.
Ein elektrisches Leitungssystem lässt dabei die Herzmuskelzellen alle gemeinsam im Rhythmus arbeiten. Der Impuls für diesen Rhythmus geht vom Sinusknoten aus, einer Gruppe von Zellen in der Wand des rechten Vorhofes unseres Herzens. Spezielle Nervenbahnen leiten die elektrischen Signale zu den Muskelzellen in Vorhöfen und Kammern weiter und geben damit den Takt für den Herzschlag vor.
Schäden am Herzen verursachen das Absterben von Herzmuskelzellen. Das führt zu Herzmuskelversagen, und das ist lebensbedrohlich. Denn dann pumpt das Herz nicht mehr richtig. Der Kreislauf wird nicht mehr mit dem nötigen Sauerstoff versorgt.
zuklappen
Restrisiken verringern, Therapieansätze ermöglichen
Bei der Analyse der aus dem Blut gewonnen DNA kommt die MicroRNA ins Spiel. Diese Signalmoleküle in der DNA sind für das An- und Abschalten, also das Ingangsetzen und Stoppen, von wichtigen Vorgängen in der Zelle verantwortlich. Die Analyse ihrer Aktivität vor und nach dem Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine verrät uns, welchen Einfluss dieser Vorgang auf die Herzmuskelzellen hat und wie sich die Herzmuskelzellen von Neugeborenen und Kleinkindern mit unterschiedlichen komplexen angeborenen Herzfehlern jeweils davon erholen. Auf dieser Grundlage lässt sich vermutlich zum einen das Restrisiko eines solchen Eingriffs verringern. Zugleich könnten wir anhand der gewonnenen Erkenntnisse vielleicht sogar herausfinden, inwiefern sich Reparaturmechanismen etwa mit Hilfe körpereigener Stammzellen anregen lassen. Darauf deuten erste Ergebnisse unserer Forschung auf diesem Gebiet hin.
Der nächste Schritt
Die Anhaltspunkte aus unserer Pilotstudie müssen dazu im nächsten Schritt auf breiterer Daten- und Probenbasis beforscht werden. Bestätigte sich im Rahmen einer solchen multizentrischen Studie, zu der sich mehrere Kinderherzzentren in Deutschland zusammenschließen, was wir in der Pilotstudie herausgefunden haben, dann wäre das wirklich ein großer Schritt für die Zukunft vieler Herzpatienten.
Dankeschön
So klein unsere Patienten sind, sie leisten Großes für alle Betroffenen. Allen Patienten und ihren Eltern, die die Kinderherzzentren durch die freiwillige Teilnahme am Nationalen Register und die freiwillige Spende ihrer Bioproben und medizinischen Daten bei der Forschung unterstützen, gilt daher unser ganz besonderer Dank. Nur die rege Teilnahme an der Studie sorgt für eine geeignete Datenbasis. Sie bildet die entscheidende Voraussetzung dafür, den Ursachen der Herzmuskelversagens und damit möglichen Gegenmaßnahmen auf die Spur zu kommen.
Verantwortlich für das Projekt:
-
Dr. med. Martin Poryo
Martin Poryo ist Kinderarzt an der Klinik für Pädiatrische Kardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes. mehr
Martin Poryo, Jahrgang 1986, absolvierte seine Facharztausbildung an der Klinik für Pädiatrische Kardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes. Der Kinderarzt hat an der Universität des Saarlandes Medizin studiert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die somatische Entwicklung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern. Für seine Doktorarbeit forschte er mit Daten aus der PAN-Studie des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler zur körperlichen Entwicklung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern.
Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für pädiatrische Kardiologie
Kirrberger Str.
Gebäude 9
66421 Homburg / Saar -
Prof. Dr. med. Hashim Abdul-Khaliq
Hashim Abdul-Khaliq ist Direktor der Klinik für Kinderkardiologie am Universitätsklinikum des Saarlandes. mehr
Nach Studium und Promotion an der Medizinischen Hochschule Hannover war Hashim Abdul-Khaliq zunächst drei Jahre in der Neonatologie der Kinderklinik des Auguste-Viktoria-Krankenhauses Berlin und anschließend zwölf Jahre am Deutschen Herzzentrum Berlin in der Klinik für Angeborene Herzfehler - Kinderkardiologie tätig, zuletzt sechs Jahre als Oberarzt. Seiner Habilitation an der Berliner Humboldt-Universität folgte 2005 der Ruf an die Kinderkardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes. Hashim Abdul-Khaliq ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderkardiologie (DGPK), der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Association for European Paediatric and Congenital Cardiology (AEPC). Als Mitglied im medizinisch-wissenschaftlichen Beirat der Marfan Hilfe (Deutschland) e. V. und im Beirat des Bundesverbandes Herzkranke Kinder e. V. berät der Kinderkardiologe zudem die Patientenverbände. Hashim Abdul-Khaliq ist Mitglied des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler e. V. (KNAHF), das er von 2009 bis 2022 als Vorstandsvorsitzender vertrat. Er gehört dem Lenkungsausschuss des KNAHF an und ist seit Juni 2022 stellvertretender Vorsitzender des Forschungsverbundes.
Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für pädiatrische Kardiologie
Kirrberger Str.
Gebäude 9
66421 Homburg / Saar