Medizin und Versorgung
Gerinnungshemmer unter Langzeitbeobachtung
DOAKs bergen besondere Risiken bei angeborenen Herzfehlern
Wissenschaftlicher Name der Studie
Current use and safety of novel oral anticoagulants in adults with congenital heart disease: Results of a nationwide analysis including more than 44,000 patients
Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen und Gefäßverschlüsse durch Blutgerinnsel: Gegen solche Folgeerkrankungen bei angeborenen Herzfehlern wappnen blutverdünnende und gerinnungshemmende Medikamente. In Deutschland erhält jeder achte Patient mit einem angeborenen Herzfehler entsprechende Präparate, um das Risiko zu verringern, an einer Komplikation zu erkranken oder gar zu versterben. Das ergab eine aktuelle Langzeitstudie, die in Kooperation mit der Barmer Krankenversicherung von Forschern des Universitätsklinikums Münster am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler durchgeführt wurde. Doch die Einnahme der Mittel ist nicht unproblematisch.
DOAKs auf dem Vormarsch
Lange Zeit wurde bei angeborenen Herzfehlern überwiegend mit so genannten Vitamin-K-Antagonisten (VKAs) behandelt, welche die Bildung bestimmter Gerinnungsfaktoren in der Leber unterbinden. Die unter anderem unter den bekannten Handelsnamen Wafarin® und Marcumar® vertriebenen Präparate erfordern eine regelmäßige Gerinnungskontrolle. Trotzdem kann es zu tödlichen Blutungskomplikationen kommen. Auch stehen die VKAs in Wechselwirkung zu Vitamin K haltigen Lebensmitteln und verschiedenen Medikamenten.
Große Hoffnungen wurden daher in die neuen direkten oralen Antikoagulantien (DOAKs) wie etwa Eliquis®, Pradaxa®, Lixiana® und Xarelto®. gesetzt. Die seit 2010 am Markt erhältlichen Medikamente weisen geringere Wechselwirkungen auf. Zudem entfällt die Notwendigkeit einer regelmäßigen Gerinnungskontrolle. Und die Präparate wirken schneller als die VKAs. Seit sie zur Verfügung stehen, stieg ihre Verwendung auch bei angeborenen Herzfehlern stetig an. Schon 2018 lag laut Studie der Anteil der DOAKs an den bei angeborenen Herzfehlern verschriebenen Antikoalgulantien bei 45 Prozent.
-
Kurz erklärt
Blutverdünner, Gerinnungshemmer
Worum geht es?
© iStockphoto.com | Iryna Imago
Die Einnahme so genannter direkter oraler Antikoagulantien (DOAKs) muss engmaschig überwacht werden. Orale Antikoagulantien hemmen die Bildung oder Wirkung bestimmter Gerinnungsfaktoren. Zu dieser Gruppe von Medikamenten gehören die „Vitamin-K-Antagonisten“ (Cumarine), abgekürzt VKA. Sie wirken in der Leber, greifen dort in die biochemischen Prozesse der Bildung von Gerinnungsfaktoren ein und hemmen diese.
Cumarine werden seit den 1940er Jahren als orale Antikoagulantien eingesetzt. In den USA wird Warfarin (ursprünglich zur Bekämpfung von Ratten entwickelt) verwendet, in Deutschland ist Phenprocoumon gebräuchlich, vielen etwa unter dem Handelsnamen „Marcumar“ bekannt.
Eine weitere Gruppe bilden die sogenannten „direkten oralen Antikoagulantien“, abgekürzt DOAKs, wie zum Beispiel Apixaban (Eliquis®), Dabigatran (Pradaxa®), Edoxaban (Lixiana®) und Rivaroxaban (Xarelto®). Anders als bei den VKA setzt die Wirkung der DOAKs schon nach einigen Stunden ein. Zudem muss bei den DOAKs der Gerinnungsstatus nicht überwacht werden.
zuklappen
Weltweit größte Studie mahnt zu Vorsicht mit DOAKs
Jedoch: Lediglich für erworbene Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben anerkannte randomisierte kontrollierte Studien bislang die guten Ergebnisse und Eigenschaften der DOAKs im Vergleich zu VKAs nachgewiesen. Die Forschergruppe um den Kardiologen und EMAH-Spezialisten Gerhard-Paul Diller vom Universitätsklinikum Münster hat daher in Kooperation mit der Barmer Krankenversicherung erstmals die Zusammenhänge der Therapie mit Gerinnungshemmern und Langzeitverlauf bei rund 44.000 Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern untersucht und die Risiken genauer ermittelt. Die in ihrem Umfang weltweit einzigartige Studie belegt, dass die mit der Einnahme von DOAKs verbundenen Risiken bei angeborenen Herzfehlern mit ihren anatomischen und physiologischen Besonderheiten deutlich anders liegen als bei erworbenen Herzerkrankungen. „Die Einsatz von DOAKs ist problematischer als lange angenommen“, sagt Gerhard-Paul Diller.
Übermäßiges Langzeitrisiko
So kam es bei Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern, die DOAKs erhielten, bereits im Verlauf der ersten Therapiejahres häufiger als bei der Vergleichsgruppe, die mit VKA-Präparaten behandelt worden ist, zu Gefäßverschlüssen durch Blutgerinnsel (3,8 Prozent vs. 2,8 Prozent), Blutungen 11,7 Prozent vs. 9,0 Prozent) sowie zu Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienzen (7,8 Prozent vs. 6,0 Prozent). Auch lag die Sterblichkeitsrate bei der Behandlung mit DOAKs deutlich höher (4,0 Prozent vs. 2,8 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigte sich in der Langzeitbeobachtung. „Die DOAKs weisen in dieser landesweiten Analyse ein übermäßiges Langzeitrisiko für MACE auf, also für größere unerwünschte kardiale Ereignisse wie akuten Myokardinfarkt, ischämischem Schlaganfall, Kammerflimmern, Reanimation oder Tod. Das unterstreicht die Notwendigkeit prospektiver Studien, bevor solide Empfehlungen für ihre Anwendung bei angeborenen Herzfehlern gegeben werden können“, führt Gerhard-Paul Diller aus.
Ersehnte Alternative bedarf engmaschiger Überwachung
So bequem es für viele Patienten erscheint: Dass der Gerinnungsstatus bei den DOAKs nicht überwacht werden muss, ist aus Sicht des EMAH-Kardiologen bei angeborenen Herzfehlern besonders kritisch: „Gerade hier kommt es drauf an, Auffälligkeiten rasch zu erkennen, um rechtzeitig gegensteuern zu können“, so Gerhard-Paul Diller. Die Forscher raten dazu, den Einsatz von VKAs wieder stärker in Betracht zu ziehen und AHF- Patienten auch bei der Verschreibung von DOAKs engmaschig durch erfahrene Spezialisten und Zentren überwachen zu lassen.
-
Wissenschaftliche Details zur Studie
Erfahren Sie mehr zum Studiendesign, den Materialien und Methoden, sowie zu den Hintergründen der Studie:
Publikationen
-
14.11.2020
Current use and safety of novel oral anticoagulants in adults with congenital heart disease: results of a nationwide analysis including more than 44 000 patients.
Freisinger E, Gerß J, Makowski L, Marschall U, Reinecke H, Baumgartner H, Koeppe J, Diller GP
European heart journal 41, 43, 4168-4177, (2020). Diese Publikation bei PubMed anzeigen.
-
