Medizin und Versorgung
Undichte Aortenklappe: Wann ist es Zeit für die OP?
Studie ermittelt Schwellenwerte
Wissenschaftlicher Name der Studie
Multizentrische Untersuchung zum Einfluss der chronischen Aorteninsuffizienz auf den linken Ventrikel bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – Die ALIVE-Studie
Für das Herz-Kreislauf-System üben die vier Herzklappen eine überlebenswichtige Funktion aus. Gleich Ventilen steuern sie den Blutfluss zur Versorgung des Körpers und seiner Organe mit Sauerstoff. Zwischen linker Herzkammer und Hauptschlagader (Aorta) übernimmt die Aortenklappe diese Aufgabe. Sie besteht aus drei halbmondförmigen Taschen. Schließen sie nicht richtig, strömt das Blut in die linke Herzkammer zurück. Auf Dauer wird die linke Herzkammer durch diesen Blutrückfluss überlastet, ihr Volumen nimmt zu und auch ihre Muskulatur verdickt sich. Das wirkt sich ungünstig auf die Funktion der linken Herzkammer aus und kann zu einer Herzinsuffizienz führen.
Aorteninsuffizienz nach Klappenersatz oder Klappenrekonstruktion
Fehlbildungen der Aortenklappe zählen zu den häufigeren angeborenen Herzfehlern, die oftmals bereits im Kindesalter behandelt werden müssen. Eine dauerhafte Undichtigkeit dieser Klappe (auch Aorteninsuffizienz oder Aortenklappeninsuffizienz genannt) tritt dabei in vielen Fällen als Folge einer operativen Behandlung oder einer Herzkatheter-Behandlung einer zuvor verengten Aortenklappe auf. Die Aorteninsuffizienz kann aber auch in Zusammenhang mit anderen Herzfehlern oder Erkrankungen wie zum Beispiel einer Endokarditis auftreten. Seltener ist eine dauerhafte Aorteninsuffizienz angeboren.
Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an
Obwohl es sich bei der Aorteninsuffizienz um eine gut bekannte Erkrankung handelt, ist nicht eindeutig geklärt, zu welchem Zeitpunkt im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter eine Operation der Aortenklappe empfohlen werden sollte. Die Empfehlungen stützen sich weitestgehend auf Erfahrungen und Leitlinien der Erwachsenenkardiologie und sind nur bedingt auf jüngere Patienten übertragbar. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene trotz höhergradiger Aorteninsuffizienz keine Beschwerden haben.
Studie ermittelt erstmals Schwellenwerte
Der richtige Zeitpunkt für eine Operation an der Aortenklappe lässt sich dann gut ableiten, wenn bekannt ist, wie sich Größe, Volumen und Funktion der linken Herzkammer unter den Bedingungen einer Aorteninsuffizienz sowie nach einem Eingriff verändern. Die kardiovaskuläre Untersuchung mittels Echokardiografie und Magnetresonanztomografie (MRT) kann verlässliche Anhaltspunkte dafür liefern, bis zu welchem Grad mit einer Normalisierung der linken Herzkammer nach einem Eingriff zu rechnen ist. In einer breiten multizentrischen Studie ermitteln wir jetzt mit Unterstützung des Nationalen Registers und in Zusammenarbeit mit auf angeborene Herzfehler bei Kindern und Jugendlichen spezialisierten Kliniken und Zentren entsprechende Schwellenwerte für jüngere Patientinnen und Patienten.
Retrospektiv und Prospektiv
In die Studie eingeschlossen werden Kinder, Jugendliche sowie junge Erwachsene unter 26 Jahren, die entweder wegen einer angeborenen Fehlbildung der Aortenklappe oder einer erworbenen Funktionsstörung der Aortenklappe an einer chronischen Aorteninsuffizienz leiden und sich einer Aortenklappenoperation unterziehen müssen oder eine solche bereits hinter sich haben.
Dabei werten wir zum einen rückblickend (retrospektiv) die medizinischen Daten von Studienteilnehmenden mit einer chronischen Aorteninsuffizienz aus, bei denen der Eingriff bereits erfolgt ist. Hierbei interessieren uns vor allem die Ergebnisse der echokardiografischen Untersuchung vor und nach der Operation. Die von den Kliniken und Zentren zu erhebenden Daten sollen unter anderem die Größe des linken Ventrikels, sowie die bi-plane Ejektionsfraktion und Parameter zum Schweregrad der Aorteninsuffizienz umfassen.
Zum anderen berücksichtigen wir in einem zweiten prospektiven Studienarm die MRT- und Ultraschall-Werte von Studienteilnehmenden mit einer chronischen Aorteninsuffizienz, bei denen eine Aortenklappenoperation oder Aortenklappenrekonstruktion ansteht, und zwar vor dem Eingriff sowie ein bis drei Monate und noch einmal zwölf Monate nach der Operation. Die Daten werden an den beteiligten Kliniken und Zentren erhoben und zur anschließenden Auswertung durch Fachspezialistinnen und Fachspezialisten pseudonymisiert im Nationalen Register erfasst.
Zahlreiche Kinderherzzentren machen mit
Zu den teilnehmenden Kliniken und Zentren zählen neben der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, die Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Göttingen, die Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, die Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie am Deutschen Herzzentrum München, die Abteilung für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie am Deutschen Herzzentrum Berlin, die Abteilung Kinderkardiologie, Pulmologie, Intensivmedizin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen, das Kinderherzzentrum am Universitätsklinikum Bonn, das Zentrum für angeborene Herzfehler Kinderkardiologie am Klinikum Stuttgart, die Klinik für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler am Universitätsklinikum Heidelberg und die Kinderkardiologie am Universitätsklinikum Erlangen. Die Teilnahme weiterer interessierter Zentren ist möglich.
Verbesserung der Behandlung und Erhöhung der Lebensqualität
Die Ermittlung entsprechender Kriterien und Schwellenwerte soll helfen, eine langfristig ungünstige Schädigung der linken Herzkammer bei jungen Patienten mit Aorteninsuffizienz zu verhindern. Ziel ist es, die Behandlung zu verbessern, die postoperative Sterblichkeitsrate zu senken und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Wir danken schon jetzt allen Studienteilnehmenden für ihre wertvolle Unterstützung.
Zu den Ergebnissen der Auswertung werden wir selbstverständlich zeitnah auch hier berichten.
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Gut zu wissen
Wie funktioniert das Herz-Kreislauf-System?
Unser Herz-Kreislauf-System arbeitet in zwei aufeinander abgestimmten Kreisläufen. Beim großen Kreislauf sammelt sich das sauerstoffreiche Blut im linken Vorhof. Von hier aus wird es über die Mitralklappe in die linke Herzkammer geleitet. Diese pumpt das Blut anschließend durch die Aortenklappe in die Hauptschlagader (Aorta). Die Aorta transportiert das Blut weiter über die Arterien, Arteriolen und Kapillaren, die vom Herzen wegführenden Blutgefäße, zu den einzelnen Körperzellen, um sie mit frischem Sauerstoff zu versorgen. In dieser Phase des Herz-Kreislauf-Systems gibt das Blut den Sauerstoff an die Körperzellen der verschiedenen Organe ab und nimmt dabei Kohlendioxid (CO2) aus den Organen auf. Das „verbrauchte“, sauerstoffarme Blut wird schließlich über die Venolen, kleinere und größere Venen gesammelt und in den rechten Vorhof des Herzens geleitet. Von dort gelangt es durch die Diastole in die rechte Herzkammer.
Dort beginnt der Lungenkreislauf. Die rechte Herzkammer pumpt das sauerstoffarme Blut in der Systole in die Lungenarterie – zur gleichen Zeit, wenn die linke Herzkammer das sauerstoffreiche Blut in die Aorta pumpt. Die Lungenarterie zweigt sich über kleinere Arterien und Arteriolen in Kapillaren auf, die die Lungenbläschen wie ein feines Netz überspannen. In den Lungenbläschen findet der Gasaustausch statt: Das Blut gibt Kohlendioxid ab und nimmt frischen Sauerstoff auf. Das sauerstoffreiche Blut fließt über die Lungenvenen in den linken Vorhof. Und die beiden Blutkreisläufe beginnen von neuem.
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Verantwortlich für das Projekt:
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Dr. med. Ulrike Bauer
Ulrike Bauer ist Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler e. V. und des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler e. V. mehr
Ulrike Bauer hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Humanmedizin studiert. Nach ihrer Promotion zur Echokardiographie bei angeborenen Herzfehlern absolvierte sie am Bezirkskrankenhaus in Chemnitz zunächst eine internistische Facharztausbildung bevor sie an das Institut für kardiovaskuläre Diagnostik der Charité Berlin und von dort aus in die Kinderkardiologie des Deutschen Herzzentrums Berlin wechselte. Unter der Leitung von Prof. Dr. Peter E. Lange begann Ulrike Bauer 1997 mit dem Aufbau eines bundesweiten Registers für angeborene Herzfehler. Gemeinsam getragen vom Stiftungsrat des Deutschen Herzzentrums Berlin und den kardiologischen Fachgesellschaften sowie mit Unterstützung durch Eltern- und Patientenverbände ging aus der Initiative von Prof. Dr. Peter E. Lange 2003 der Verein Nationales Register für angeborene Herzfehler e. V. hervor. Im selben Jahr fiel der Startschuss für den aus Mitteln des Bundes finanzierten Aufbau des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Ulrike Bauer ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (DGK), der European Society of Cardiology (ESC), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) und der Association for European Paediatric and Congenital Cardiology (AEPC).
Kompetenznetz Angeborene Herzfehler e. V.
Netzwerkzentrale
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin -
Prof. Dr. med. Inga Voges
Prof. Dr. med. Inga Voges ist Oberärztin und Leiterin der Kardio-MRT an der Klinik für Angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH).
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein - Campus Kiel
Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie
Arnold-Heller-Str. 3
24105 Kiel -
Prof. Dr. med. Anselm Uebing
Anselm Uebing, Jahrgang 1969, ist Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel. mehr
Anselm Uebing studierte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Humanmedizin. Seine Ausbildung zum Kinderarzt und Kinderkardiologen absolvierte er am Universitätsklinikum Kiel. Als „London -Toronto Fellow in Adult Congenital Heart Disease“ spezialisierte sich Anselm Uebing während seiner klinisch wissenschaftlichen Ausbildung von 2004 bis 2006 am Royal Brompton Hospital in London auf die Behandlung von Erwachsenen mit einem angeborenen Herzfehler. Von 2006 bis 2010 arbeitete er als Oberarzt an der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie in Kiel. 2010 wechselte er an das Royal Brompton Hospital London und übernahm hier die Leitung des Herzkatheterlabors der Abteilung für angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter. Im Anschluss leitete er von 2017 bis 2019 die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin - Pädiatrische Kardiologie am Universitätsklinikum Münster. Seit April 2019 ist Anselm Uebing Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie an der Christian Albrechts Universität zu Kiel (CAU). Anselm Uebing ist Mitglied des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler e. V. Er gehört dem Lenkungsausschuss an und ist seit Juni 2022 Vorstandsvorsitzender des Forschungsverbundes. Anselm Uebing ist zudem DZHK-Wissenschaftler am Standort Hamburg/Kiel/Lübeck.
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein - Campus Kiel
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